Wie viel Kontrolle darf der Staat über ein Individuum haben? Diese Frage stellt das Sci-Fi-Drama „The Assessment“, das nach einer Öko-Katastrophe spielt: Was wäre, wenn die intimste und essenziellste Frage der Menschheit nicht mehr privat wäre? Oscar-Preisträgerin Alicia Vikander testet darin ein Paar mit Kinderwunsch auf seine „Eltern-Fähigkeit“. Und ist als autoritäre, perfide Gutachterin unangenehm gut.
WELT: Alicia, niemand ist derzeit sehr optimistisch, nicht nur, was ökologische Fragen angeht. Ist die Zukunft noch ein gerechtfertigter Ort für Kinder?
Alicia Vikander: Eine überaus schwierige Frage. Das ist natürlich auch ein Kampf gegen persönliche Wünsche, gegen die tiefe Sehnsucht, ein Kind zu bekommen – was nun mal ein primärer Instinkt ist. Fleur Fortuné, unsere Regisseurin, hat dieses Thema angefasst, weil sie selbst intensiv vom Thema des Kinderwunsches betroffen war. Sie geht sehr offen damit um, dass sie eine Odyssee von sieben Jahren durchlebte, bis sie schließlich ihre Tochter bekam. Zum Glück. Ihr Name ist daher auch im Abspann des Films zu finden.
WELT: Sie haben auch öffentlich gemacht, eine Fehlgeburt erlitten zu haben, bevor Sie 2021 Ihr erstes Kind zur Welt brachten. Aber just bei diesem Dreh waren Sie zum zweiten Mal schwanger.
Vikander: Ja.
WELT: Wie sind Sie mit dieser paradoxen Situation umgegangen, eine unerbittliche Prüferin zu geben, die über Elternglück entscheidet, dabei aber selbst schwanger zu sein?
Vikander: Abgesehen von der Tatsache, dass ich die ersten sechs Wochen lang versucht habe, mich nicht zu übergeben, wenn ich gerade gefilmt wurde? Es herrschten 40 Grad Hitze auf Teneriffa, als ich im dritten und vierten Monat war. Physisch war es hart. Aber auf der anderen Seite war es wunderbar, wenn ich bedachte, worum es im Film geht, welche Kämpfe das Ehepaar unbedingt durchstehen will, um ein Kind zu bekommen. Dass ich selbst dieses unsichtbare Wesen in mir trug und dieses kleine Leben in mir schon spüren konnte, war eine wundervolle zusätzliche Inspiration. Diese Hoffnung, dieses Gefühl für Liebe und Leben, das war die ganze Zeit bei mir. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass das Kind mich führt und leitet.
WELT: Sie haben seit 2011, als Sie Shootingstar der Berlinale waren, eine Weltkarriere hingelegt, einen Oscar gewonnen, sich als Schauspielerin immer wieder gesteigert und waren auffallend oft in Sci-Fi-Filmen zu sehen. Warum?
Vikander: Ich habe immer viel Sci-Fi-Literatur gelesen, damit bin ich aufgewachsen. Mein Vater hat mich an dieses Genre herangeführt, und ich mochte es immer sehr.
WELT: „The Assessment“ stellt berechtigte und spannende ethische Fragen, ob wir besser darauf vorbereitet sein sollten, Kinder aufzuziehen. Zum Autofahren, Tauchen, Segeln müssen wir eine Qualifikation nachweisen, nicht aber, um für das Leben eines Kindes verantwortlich zu sein. Ist eine Eltern-Eignungsprüfung gar nicht abwegig?
Vikander: Natürlich ist das für jeden eine extrem persönliche Reise: Kinder zu bekommen, neues Leben zu erschaffen, das ist eines dieser Mysterien, über die man sprechen und es beschreiben kann, aber wirklich begreifen, in all seinen Dimensionen, das tut man wohl immer erst, wenn man es selbst erlebt.
WELT: Der Film spielt in einer dystopischen Zukunft, wo der Staat auch über den Nachwuchs entscheidet. Welche Aspekte der Zukunft stimmen Sie besonders skeptisch?
Vikander: Für mich ist die Umweltzerstörung ein sehr großes Thema, ich denke viel darüber nach. Du versuchst, mit der Entwicklung Schritt zu halten, und willst gleichzeitig den Planeten Erde so wenig wie möglich verletzen. Ich habe mich intensiv damit beschäftigt, als ich mein erstes und dann nach diesem Film auch mein zweites Kind auf die Welt brachte. Natürlich denken viele Menschen darüber nach, vor allem die jüngere Generation, die jetzt für die Sünden der Generationen vor ihnen bezahlen muss.
WELT: In der Welt von „The Assessment“ ist der Mensch nicht berechtigt, irgendetwas aus eigenem Antrieb zu tun. Inwiefern war Ihre Entscheidung, wo Sie leben, für Sie auch eine Frage der Rechte und der politischen Atmosphäre?
Vikander: Ich hatte das Glück, in einem Land geboren zu werden und aufzuwachsen, wo Freiheit und Meinungsfreiheit selbstverständlich waren. Es ist also eher so, dass ein Film wie dieser hinterfragt, wie ich reagieren würde, wenn mir das vorenthalten würde.
WELT: Ihren letzten Wohnort London haben Sie nach dem Brexit verlassen.
Vikander: Ja, wir leben nun schon seit fünf, sechs Jahren in Portugal. Es fühlte sich damals richtig an, wegzuziehen.
WELT: Wir – das sind Sie und Ihr Mann Michael Fassbender, mit dem Sie seit 2017 verheiratet sind. Wie sieht Ihr Leben dort aus?
Vikander: Ich war gut beschäftigt. Jede Frau weiß, dass man mit zwei Kindern ein anderes Leben hat. Es ist verrückt, aber seit dem ersten Kind hat sich alles von einem Tag auf den anderen verändert, ein ganz neues Lebenskapitel beginnt. Aber mein Mann hat mich sehr unterstützt. Als ich wenige Monate nach der Geburt das erste Mal wieder drehte, hat er auf das Baby aufgepasst. Zuletzt waren wir ein halbes Jahr lang nur unterwegs, weil die Arbeit uns ständig an andere Orte geführt hat.
WELT: Etliche Hollywood-Schauspieler ziehen derzeit nach Europa. Waren die USA für Sie beide nie eine Option?
Vikander: Für mich war es das nie, interessanterweise. Das liegt sicher daran, dass ich das Glück hatte, aus Europa den Einstieg in diese Branche zu schaffen und immer wieder Arbeit zu haben, die mir neue Möglichkeiten bietet und mich persönlich weiterbringt. Ich habe mich aber auch immer sehr europäisch gefühlt, mir kam nie in den Sinn, darüber nachzudenken, mal woanders zu leben: Ich bin aus Göteborg und Stockholm erst für ein paar Jahre nach London gezogen, bis zum Brexit, aber ich habe all meine Wohnorte sehr genossen. Ich weiß nicht, ob ich ein Weltbürger bin. Aber ich habe ein starkes Empfinden dafür, dass Europa meine eigentliche Heimat ist.
WELT: Sie sind nun seit zehn Jahren eine Größe in der Branche. Hat der Erfolg Sie verändert?
Vikander: Ich hoffe nicht. Zum Glück habe ich in meinem Privatleben eine gesunde Distanz zum Filmgeschäft. Meine Freunde, meine Familie haben nichts mit Hollywood am Hut – mein Mann ist der Einzige. Das ist mir auch sehr recht so.
WELT: Zahlt man für Berühmtheit mit einem Teil von sich selbst?
Vikander: Ich würde eher sagen, dass man auch als Schauspielerin Kontrolle darüber hat, wie man sich zeigt. Sicher, man kann nie komplett privat bleiben, aber was in der Öffentlichkeit landet, kann man schon beeinflussen. So wie es bei mir aktuell läuft, fühle ich mich ganz wohl.
WELT: Sie verschweigen sogar die Namen Ihres Nachwuchses und das Geschlecht.
Vikander: Zum Beispiel.
WELT: Zog es Sie auch nach Portugal, weil es dort einfacher ist, sein Privatleben privat zu halten?
Vikander: Ja, auch. Es gibt da kaum Paparazzi, und die Leute dort haben sich inzwischen an uns gewöhnt.
WELT: Hat sich in der Zeit, in der Sie im Geschäft sind, vieles für Frauen verändert, vereinfacht und zum Besseren gewendet?
Vikander: Seitdem hat sich definitiv viel verändert! Am Filmset spürt man als Frau schon einen großen Unterschied, am eigentlichen Arbeitsplatz ist die Erfahrung eine ganz andere. Ich denke, das gilt nicht nur für die Filmindustrie, sondern liegt daran begründet, dass sich das Bewusstsein für Machtmissbrauch sehr geschärft und Missbrauch als Konsequenz sehr abgenommen hat. So hat sich das Klima innerhalb der Arbeitsumgebung gebessert. Vor kurzem habe ich in New York einen Film abgedreht, es war eine Freude, weil die Gaffer, die Kameraleute und viele der Rigger weiblich waren. So viel Diversity hat man vor 10, 15 Jahren noch nicht gesehen. Das gab mir definitiv das Gefühl gab, dass das Pendel in eine ganz andere Richtung ausschlägt. Gerade in Amerika gibt es beim Film immer noch viel mehr Jobangebote für Männer als für Frauen. Da haben immer noch die Männer die Nase weit vorn. Es bleibt also definitiv eine Menge Arbeit zu tun.
WELT: Aber es gibt berechtigte Hoffnung.
Vikander: Und vor allem ein Bewusstsein für das Thema. Sobald man darüber spricht und sich über eine Problematik bewusst wird, neigt man von Natur aus dazu, auf Veränderungen hinzuarbeiten.
WELT: Versuchen Sie den Prozess der Veränderung mitzusteuern und – auch wenn der Begriff schon inflationär gebraucht wird – „weibliches Empowerment“ zu fördern?
Vikander: An dem Begriff ist nichts auszusetzen! Ich habe jetzt mit Fleur Fortuné gearbeitet und mit der schwedischen Regisseurin Lisa Langseth schon drei Filme gedreht.
WELT: Langseth gilt als Ihre Entdeckerin.
Vikander: Die zwei Filmemacher, mit denen ich in Schweden gearbeitet habe, sind beides Frauen. „The Last Day“, den ich jetzt in New York abgedreht habe, stammt ebenfalls von einer Auteur-Regisseurin, Rachel Rose, die ihr Regiedebüt gibt. Ich versuche sehr bewusst, mit meinen Entscheidungen Frauen zu fördern. Frauen zeigen auf ganz natürliche Art so unterschiedliche Arten von Kunst, und mir ist es wichtig, mit vielen neuen und unterschiedlichen Stilen des Filmemachens zu experimentieren. Also, ja, ich versuche, Frauen definitiv zu unterstützen, ohne dass es eine bewusste, verkrampfte Entscheidung ist.
WELT: Es wäre für Sie kein ausschlaggebendes Argument für einen Film, dass eine Frau auf dem Regiestuhl sitzt?
Vikander: Wenn ich ein Projekt unbedingt machen will, würde ich es nicht wegen eines männlichen Regisseurs ablehnen. Aber ich suche sehr bewusst nach weiblichen Stimmen. Wenn man das mit Engagement und Mühe betreibt, wird einem vielleicht tatsächlich ein Projekt vorgestellt, das man dann unbedingt realisieren möchte.
WELT: Sie sind zu bescheiden: Ihre eigene Produktionsfirma, Vikarious, hat sich auf die Förderung von Frauen in der Filmindustrie spezialisiert.
Vikander: „The Last Day“ in New York habe ich produziert, „The Assessment“ nicht. Stephen Woolley, der Produzent, war bereits seit zehn Jahren an Bord. Aber ich war aktiv daran beteiligt, mit ihm Wege zu finden, wie wir den Film auf die Beine stellen können. So wurden wir deutschen Produzenten vorgestellt, die einen wichtigen Anteil daran hatten, warum wir es geschafft haben.
WELT: Also doch: Sie gestalten die Zukunft mit.
Vikander: Nein. Ja. Es ist eher so, dass ich es sehr genieße, ab einem sehr frühen Zeitpunkt Teil des Entstehungsprozesses eines Films zu sein, als nur am Set aufzutauchen und zu spielen.
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