Philip Roths Roman „Verschwörung gegen Amerika“ spielt im Wesentlichen anno 1942; aber es ist ein ganz anderes Jahr 1942 als jenes, das wir aus den Geschichtsbüchern kennen. Im Herbst 1940 nämlich hat bei Roth Charles Lindbergh – Ozeanflieger, verwaister Vater, Nazisympathisant – die Präsidentschaftswahl in einem Erdrutschsieg gewonnen. Sein Slogan: „Wählt Lindbergh oder wählt den Krieg.“ Lindberghs Vizepräsident wurde Burton K. Wheeler, ein demokratischer Senator aus Montana, der gern mit gerecktem rechtem Arm grüßte und ein Komitee zur Untersuchung der jüdischen Studiobosse in Hollywood ins Leben rufen wollte. Zu Lindberghs Innenminister wird in Roth’ Roman Henry Ford ernannt: auch im wahren Leben ein genialischer Automobilerfinder, Diktaturbewunderer (er ließ mit Stalins Hilfe eine Autostadt in der Sowjetunion bauen; Hitler hatte ein Foto von Ford in seiner Münchner Wohnung hängen) und schäumender Antisemit.
Eine der tollsten Szenen in „Verschwörung gegen Amerika“ handelt vom Besuch des deutschen Außenministers Joachim von Ribbentrop im Weißen Haus. Natürlich hat Lindbergh, sowie er an die Macht gekommen ist, die amerikanische Außenpolitik um 180 Grad gedreht; er hat also jede Waffenhilfe für Großbritannien eingestellt und stattdessen Freundschaftsabkommen mit Deutschland und dem faschistischen Japan geschlossen. Ganz besondere Bedeutung hat jener Staatsbesuch für den Ich-Erzähler, einen jüdischen Jungen aus New Jersey, der Philip Roth bis aufs Haar gleicht, aus einem familiären Grund: Seine Tante Evelyn ist dabei. Denn sie hat sich mit einem gewissen Rabbi Bengelsdorf verlobt; und Rabbi Bengelsdorf gehört zu jenen dummen und gewissenlosen Juden, die Präsident Lindbergh unterstützen und ihn von jeglichem Antisemitismusverdacht reinwaschen. So kommt es, dass der Rabbi und seine Frau im Weißen Haus mit dem Nazi tanzen. Der Vater des Erzählers, ein wütend-verzweifelter Roosevelt-Anhänger, sieht sich die Sache allein im Kino an.
Checks und Balances
„Ich konnte es nicht glauben“, berichtet er hinterher, „das Lächeln auf ihrem Gesicht war eine Meile breit. Und der Bräutigam? Er schaute drein, als hätten sie das Abendessen nur für ihn persönlich gekocht.“ Allerdings ist es auch ohne diese familiäre Verbindung ein unerhörter Schock, Hitlers Außenminister in Washington zu sehen. „Jeden Tag frage ich mich dasselbe: Wie kann das in Amerika passieren?“, sagt der Vater. „Wie können solche Leute in unserem Land an der Macht sein? Wenn ich es nicht mit meinen eigenen Augen sehen würde, würde ich glauben, dass ich halluziniere.“ Eine jüdische Familie, mit der die Roths befreundet sind, will nach Kanada auswandern. Aber Philip Roth’ Vater will bleiben. Er glaubt noch an die checks und balances des amerikanischen Systems: „Es gibt in diesem Land immer noch einen Obersten Gerichtshof“, sagt er. „Und es gibt immer noch gute Männer … Im November gibt es Kongresswahlen. Es gibt immer noch Wahlkabinen, und die Leute können wählen, wen sie wollen.“
Als „Verschwörung gegen Amerika“ vor mehr als zwanzig Jahren erschien, kam die alternative Geschichtsvision, die Philip Roth vor seinen Lesern ausbreitete, den meisten Literaturkritikern ziemlich abseitig vor. Das mag auch daran liegen, dass viele Leute vor zwanzig Jahren noch nicht wussten, wie mächtig die echte, die historische Verschwörung zu Lindbergs Zeiten war. Heute jedoch liegen alle Details im Tageslicht vor uns. Wo anfangen? Vielleicht bei den Trümmern eines Flugzeugs, das im August 1940 von Washington nach Detroit fliegen sollte.
Mysteriöser Flugzeugabsturz
Alle 25 Passagiere fanden an jenem Sommertag den Tod. Unter den Opfern: Ernest Lundeen, ein Senator aus Minnesota. Außerdem unter den Toten: ein Spezialagent und ein weiterer Mitarbeiter des FBI sowie ein Staatsanwalt des amerikanischen Justizministeriums. Die Ursache des Absturzes war vielleicht schlechtes Wetter; andererseits berichtete eine Stewardess in einem Funkspruch kurz vor dem Absturz von einem Kampf unter den Passagieren. Der damalige FBI-Chef J. Edgar Hoover leugnete, dass die Mitarbeiter des FBI an Bord des Flugzeugs damit beschäftigt waren, Senator Lundeen zu observieren; allerdings gibt es keinen Zweifel, dass eine staatliche Untersuchung gegen den Senator im Gang war.
In den Wrackteilen wurde die letzte Rede gefunden, die Senator Lundeen halten wollte. Man kann sie leicht googeln: 109 maschinengeschriebene Seiten plus Fußnoten, an den Rändern leicht angekokelt. Es handelt sich um ein überlanges Loblied auf den Beitrag, den Deutsch-Amerikaner zur Kultur der Vereinigten Staaten geleistet haben, und eine Verurteilung der dekadenten Briten, deren Zivilisation ihren Zenit längst überschritten habe; die Rede gipfelt in der Versicherung, dass Hitler nur das Unrecht des Versailler Vertrages zu korrigieren gedenke und bestimmt nicht plane, weitere europäische Länder anzugreifen.
Am Ende steht die Warnung, dass die Vereinigten Staaten das Blut ihrer Söhne nicht in einem Krieg auf einem fernen Kontinent opfern sollten. Rhetorisch ist das Ganze glänzend, es hat nur einen Fehler: Die Rede des amerikanischen Senators wurde von A bis Z in der deutschen Botschaft geschrieben. Später tauchte – trotz aller Versuche seiner Witwe, Beweise zu unterdrücken – ein Foto auf, das Senator Lundeen bei einer Rede vor einem gewaltigen Hakenkreuz zeigt.
Nazipropaganda in Amerika
Den Kontakt zur deutschen Botschaft hatte ein gewisser George Sylvester Viereck hergestellt, ein in München geborener verkrachter Poet und Wahlamerikaner, der sich den Nazis als Agent zur Verfügung stellte. Außer Senator Lundeen hatte Viereck noch ein paar andere Pferde in seinem Stall; so die Kongressabgeordneten Hamilton Fish und Jacob Thorkelson. Sie machten von einem Privileg Gebrauch, das der amerikanische Kongress damals hatte – er konnte unentgeltlich Drucksachen verschicken; in einer Zeit, in der es noch kein Fernsehen und kaum überregionale Zeitungen gab, war das ein wirkungsvolles Massenmedium. George Sylvester Viereck sorgte dafür, dass seine Mitarbeiter an hunderttausende amerikanische Haushalte pure Nazipropaganda verschickten.
Dann gab es noch Pater Charles Coughlin, einen katholischen Geistlichen, der in Royal Oak wirkte, einer Vorstadt von Detroit im Bundesstaat Michigan. Pater Coughlin gehörte zu den ersten Stars des neuen Massenmediums Radio; etwa ein Viertel aller Amerikaner hörte seinen Sendungen zu. Coughlin bewunderte faschistische Diktatoren und verabscheute Juden. Nach der Reichspogromnacht beschimpfte er sie als Christusmörder und Bolschewiken. Und selbstverständlich war er strikt dagegen, dass die Amerikaner sich in den Zweiten Weltkrieg einmischten – am Ende gar noch aufseiten der gottlosen Sowjetunion.
Großbritannien stand beinahe allein da, nachdem die deutsche Wehrmacht Belgien und die Niederlande überrannt hatte und nachdem im Juni 1940 Frankreich in die Knie gebrochen war. Die Briten waren verzweifelt auf das Kriegsgerät angewiesen, das Präsident Roosevelt ihnen zukommen ließ. Ein ständiges Thema der Gegner eines amerikanischen Eintritts in den europäischen Krieg war darum, die Briten seien nicht dankbar genug. Sie sollten gefälligst demütig sein! Außerdem sagten sie wieder und wieder, das Empire sei korrupt und dekadent; ein unübersehbarer Gegensatz zu Nazideutschland, das bekanntlich vor Kraft strotzte und unaufhörlich Siege errang.
Eine besondere Portion Hass war für Winston Churchill reserviert: Eine zwielichtige Figur sei der, ein Trunkenbold, die Marionette einer weltweiten jüdischen Verschwörung. Bis heute nennen Historiker Amerikaner, die solches verbreiteten, Isolationisten; dabei wissen wir längst, dass sie ihre Behauptungen direkt aus der deutschen Botschaft bezogen. Nein, es handelte sich nicht um Isolationisten. Leute wie Charles Lindbergh und Ernest Lundeen waren Agenten Nazideutschlands, wissentliche Verbreiter von Hitlers Propaganda.
America First
In „Verschwörung gegen Amerika“ hält es der kindliche Erzähler am Schluss nicht mehr aus – er schleicht sich ebenfalls ins Kino, obwohl er für die Wochenschau noch viel zu jung ist. Zunächst sieht er bewegte Bilder vom Krieg: Flugzeuge, die Bomben abwerfen, Massengräber, das Meer in Flammen, Kriegsgefangene im Schlamm, tote Babys. Dann das Kontrastprogramm: das Weiße Haus im friedlichen Washington. „Ein Frühlingsabend im Zwielicht. Schatten, die auf Rasenflächen fallen. Blühende Büsche. Blühende Bäume. Limousinen, die von Chauffeuren in Livreen gefahren werden; die Aussteigenden tragen Anzüge … Freundliches Lächeln. Stilles Lachen. Der schlanke, beliebte, gut aussehende Präsident. Neben ihm die begabte Dichterin, kühne Pilotin und hochkulturelle Gesellschaftsdame, die auch die Mutter ihres ermordeten Kindes ist. Der redegewandte Gast mit dem Silberhaar. Die elegante Nazigattin in ihrem langen Seidenkleid.“
Da fest damit gerechnet werden muss, dass bald das Silberhaar des Massenmörders Wladimir Putin im Weißen Haus auftauchen wird, kann darauf verzichtet werden, die offenkundige Parallele zwischen dem Roman von Philip Roth und der verrückten Gegenwart allzu dick auszumalen. Nicht einmal den Namen der Bewegung haben Trump und die Seinen geändert; auch die Anhänger von Charles Lindbergh sprachen von „America first“. Auch sie versprachen, sie würden Amerika – nach Jahrzehnten der Unterwanderung durch Linke und Juden – wieder groß machen.
Russlands Freunde
Allerdings gibt es doch Unterschiede. Anders als in den Vierzigerjahren hat die „Verschwörung gegen Amerika“, die wir aktuell erleben, zu keiner Zeit im Geheimen stattgefunden. Jeder kann nachlesen, wann Donald Trump zum ersten Mal nach Moskau flog (1987), dass sein Besuch auf Einladung des sowjetischen Botschafters stattfand, dass er in der Maschine von sowjetischen Militärs umzingelt war. Jeder kann nachhören, wie glänzend er sich mit den sowjetischen Geheimdienstleuten verstand, die er auf seiner Reise traf; er bedauerte, dass solche Leute in Amerika nicht zur Wahl stünden. (Gorbatschow hingegen sei ein Schwächling.)
Jeder kann nachlesen, dass Trump die Nato scharf angegriffen hat, als an der Berliner Mauer noch Menschen erschossen wurden; Feindschaft zur Nato ist eine der Grundkonstanten dieses sonst sehr unberechenbaren Mannes. (Die andere Konstante ist der Rassismus.) Jeder weiß, dass Tulsi Gabbard, die Frau, die von Trump zur amerikanischen Geheimdienstchefin ernannt wurde, von den Russen nur „unsere Freundin“ genannt wird; dass Pete Hegseth, Amerikas neuer Verteidigungsminister, die Nato ebenso ablehnt wie sein Chef usw. Das Einzige, was die Lage noch deutlicher machen könnte, wäre ein vor dem Weißen Haus geparkter Panzer, der die russische Fahne hisst. „Wenn ich es nicht mit meinen eigenen Augen sehen würde, würde ich glauben, dass ich halluziniere.“
In Philip Roths Roman steigt Charles Lindbergh am Ende in ein Flugzeug, hebt ab und verschwindet auf Nimmerwiedersehen über den Wolken. Der von Burton K. Wheeler daraufhin angezettelte Staatsstreich schlägt fehl, weil die Präsidentengattin sich gegen die Putschisten stellt. Franklin D. Roosevelt kehrt ins Weiße Haus zurück, die Geschichte gerät wieder in ihr vertrautes Gleis. Hoffen wir, dass die Realität auch hierin dem Roman folgt. Freilich gibt es dabei ein Problem: Donald Trumps Frau hat kein Herz, und er selbst kann nicht fliegen.
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