Vor 100 Jahren wurden die Quanten entdeckt. Über die kleinsten physikalischen Partikel würde man, wären sie Menschen, die Augen verdrehen: Unberechenbar, launisch und hypersensibel, tarnen sie sich gern als Welle und Teilchen gleichzeitig, akzeptieren keine klaren Grenzen und verständigen sich über weite Entfernungen und die Köpfe all derer hinweg, die versuchen, ihnen auf die Schliche zu kommen.

Quanten sind so etwas wie subatomare Verwandlungskünstler, die zwischen Genie und Wahnsinn herumsteuern und schamlos ihren Narzissmus ausleben. Sie bekommen mit, wenn man sie beobachtet, und ändern dann ihr Verhalten. So als wollten sie sagen: Fang mich doch!

Im frühen 20. Jahrhunderts schlugen sich die Physiker Niels Bohr und Werner Heisenberg mit Quanten herum. Inzwischen sind es (neben Wahrsagerinnen und Meditations-Gurus, die mit sogenannter Quantenheilung Menschen das Geld aus der Tasche ziehen) die Tech-Giganten. Bei ihren Wettrennen gelang es, Quantencomputer zu entwickeln, die auf minus 267 Grad heruntergekühlt zwar nicht fehlerfrei rechnen können, aber mit denen man dem Geheimnis und vor allem der zukünftigen Nutzung dieser irrlichternden Einheiten erstaunlich nahekommt.

Im Jahr 2024 entwickelte Google etwa den Quantenchip Willow, der in fünf Minuten berechnen kann, wofür ein normaler Supercomputer Septillionen Jahre bräuchte. Und vor einer Woche wurde bei Microsoft ein Durchbruch erreicht, als mittels Quantenchips die Entdeckung eines „topologischen“ Aggregatzustands jenseits von flüssig, fest und gasförmig gelang.

Ausstellung im Berliner Kraftwerk

In diesen Kosmos zwischen Physik und Metaphysik kann man bei der privaten Kunststiftung Light Art Space (LAS) nun sinnbildlich eintauchen: Die Künstlerin Laure Prouvost hat die Industriehallen des Kraftwerks Berlin mit kinetischen, leuchtenden Skulpturen aufgeladen, die scheinbar ein Eigenleben führen.

Kometenhafte, mit allerlei Materialien und Dingen bestückte Gebilde bewegen sich zwischen den Stockwerken auf und ab. Manche hängen so im Raum, dass man sie wie Astronautenhelme aufsetzen und in einer dunklen Höhle verschwinden kann, in der es vor sich hinflüstert. Prouvost nennt sie „Cute Bits“, in liebevoller Anlehnung an Qubits, die Speichereinheiten des Quantencomputers.

Das zentrale Kunstwerk ist eine riesige Filminstallation. Sie trägt den Titel „We Felt a Star Dying“: Unter einer planetarisch anmutenden Projektion, die von einer raumgreifenden Blüte eingefasst wird, deren schwarze Tüllblätter sanft durch die Halle wedeln, kann man sich hinlegen und die traumartigen Bilder beobachten. Wie zufällig wischen da Landschaften, Silhouetten, Himmel, Schatten und uneindeutige Nahaufnahmen über einen hinweg. Begleitet werden sie von komponierten Sounds und einem Gedicht, in dem die Künstlerin von Quanten wispert.

Prouvosts Arbeit hatte immer etwas Außerweltliches und in keiner Weise Greifbares. Geboren 1978 im nordfranzösischen Lille, ist Laure Prouvost eine der wichtigsten Multimedia-Künstlerinnen ihrer Generation. 2019 vertrat sie Frankreich auf der Biennale von Venedig; 2013 wurde sie mit dem Turner-Preis ausgezeichnet. Prouvost lebt in Brüssel und wird von den Galerien Carlier Gebauer (Berlin), Lisson (London) und Nathalie Obadia (Paris) vertreten.

Obwohl Film ihr zentrales Medium ist, entsteht ihr Werk erst in der Mischung – aus Fundstücken, Wörtern, Kleidern, Plastik, Erde, Pappmaché, Glas, Keramik, Video und Unzähligem mehr. Bei Prouvost ist es, als wären alle Dinge auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden. Das offenbart sie aber weniger als kühle Konzeptkunst, sondern als Darstellung eines holistischen Ansatzes, wie man ihn von alten Kulturen kennt – oder aus der Quantenmechanik.

Für LAS, wo man sich der Verbindung von bildender Kunst und Technologie verschrieben hat und aufwendige künstlerische Produktionen ermöglicht, war Prouvost daher die perfekte Wahl, um das sogar von den Vereinten Nationen ausgerufene Quantenjahr zu feiern. Als erste Künstlerin weltweit durfte sie mit einem Quantencomputer arbeiten. Unterstützt vom Informatiker Hartmut Neven von Google Quantum AI und vom Philosophen Tobias Rees stellte Prouvost die Frage, wie sich die Welt aus der Sicht von Quanten wahrnehmen ließe, deren erratisches Verhalten schon beim Urknall eine bedeutende Rolle spielte.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf entwarf Prouvost ihren Film, der dann in ein eigens entwickeltes KI-Modell eingespeist wurde, das wiederum Daten von Googles Quantencomputer nutzte. Der Film wurde somit transformiert, wobei völlig unklar war, was am Ende herauskam. Doch eben diese Unvorhersehbarkeit – basierend auf dem sogenannten, durch Zufälle bestimmten „Quantenrauschen“ – war gewollt, um Bilder und Klänge zu manipulieren. Die inhärent aufmüpfige Qualität eines Quantensystems wurde also zum poetischen Moment des Films.

Der wird deshalb bei jeder Wiederholung des Experiments anders aussehen: je nachdem, ob es draußen regnet, zwei sich streiten oder ein Stern vom Himmel fällt. Quanten bemerken alles – so die künstlerische Annahme. Bei LAS sehen wir nun gewissermaßen die erste Verbildlichung einer Quantenästhetik. Wüsste man nicht um die außergewöhnliche Technologie dahinter, könnte man meinen, Prouvosts Film sei einfach eine Collage aus digital bearbeiteten, überbelichteten oder unterschiedlich aufgenommenen Bildern, die uns in ein surreales Universum locken.

Aber vielleicht will die Künstlerin uns nur daran erinnern, dass Quanten seit jeher Teil von allem sind, auch wenn sie erst jetzt ins Rampenlicht rücken – in einer Gegenwart, die im Zeitalter von künstlicher Intelligenz lernen muss, dass der eigene Verstand endgültig überholt wird.

„Laure Prouvost. We Felt a Star Dying“, bis zum 4. Mai 2025, Kraftwerk Berlin

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