Im Freistaat Bayern hängt man sehr an „Madame Soler“. Schließlich ist das Gemälde von Picasso, zumal aus seiner frühen „blauen“ Periode, die sowohl kunsthistorisch wie buchhalterisch als besonders wertvoll gelten darf. Das Bild von 1903 ist im Besitz der Pinakothek der Moderne in München. Wem es aber gehört, das ist seit vielen Jahren Gegenstand einer erbitterten Auseinandersetzung zwischen der Erbengemeinschaft von Nachfahren des jüdischen Bankiers Paul von Mendelssohn-Bartholdy und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Bislang sind die Parteien sich nicht einig, ob das Gemälde Mitte der 1930er-Jahre freiwillig oder unter dem Druck der Nationalsozialisten den Eigentümer wechselte, ehe es 1940 nach Amerika kam und 1964 von Bayern erworben wurde.
„Madame Soler“ ist nur das bekannteste Beispiel der Raubkunstdebatte. Manche Kunstwerke im Besitz der Münchener Pinakotheken müssen sich fragen lassen: NS-Raubkunst, oder nicht? Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen stehen in der Kritik wegen ihres Umgangs mit Werken, die unter Raubkunstverdacht stehen oder als NS-Raubkunst identifiziert wurden. Nach einer museumsinternen Katalogisierung werden solche Fälle im Inventar mit einem roten Punkt markiert. Aktuell sind es 97 Kunstwerke mit Restitutionsansprüchen, was weitere Fragen aufwirft: Halten die Museen womöglich Raubkunst vor der Restitution an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurück? Wird die Rückgabe aktiv verschleppt?
Seit die Inventarlisten der „Süddeutschen Zeitung“ zugespielt wurden, hat die Debatte um NS-Raubkunst in Bayern Ende Februar 2025 neuen Wind bekommen. Daraufhin hatte der bayerische Kunstminister Markus Blume von den ihm unterstellten Museen mehr Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Einheitlichkeit bei der Provenienzforschung eingefordert. Bei allen als Raubkunst eingestuften Werken sollte umgehend eine „Tiefenrecherche“ durchgeführt und für die systematische Bewertung aller bisher nicht geprüften Kunstwerke bis Ende 2026 ein verbindlicher Zeitplan erstellt werden.
Der Minister will „schonungslos aufklären“
So lange wollte Blume dann aber doch nicht warten, denn am 2. April 2025 stellte er bei einer Pressekonferenz in der Pinakothek der Moderne ein „Maßnahmenpaket“ vor, mit dem die Museen „Vertrauen zurückgewinnen und Verantwortung leben“ sollen. Dazu gehörte auch die sofortige Ablösung des Generaldirektors der Staatsgemäldesammlungen Bernhard Maaz, der nach zehn Jahren im Amt seinen Hut nehmen muss und ans Zentralinstitut für Kunstgeschichte strafversetzt wird.
Es gehe nicht nur um die Ermittlung ungeklärter Provenienzen von Kunstwerken, sondern auch um „persönliches Fehlverhalten und womöglich Organisationsversagen“, raunte Blume. Wie der Deutschlandfunk meldete, würden interne Unterlagen des Museumsverbundes unter anderem „mögliche sexuelle Belästigung Minderjähriger durch Aufsichtspersonal“ dokumentieren sowie die Kontrolle von Beschäftigten mittels Videoüberwachung. Blume habe den Umfang der Vorwürfe bestätigt und sein Ministerium nun eine interne Untersuchung veranlasst, die von einer dafür beauftragten ehemaligen Staatsanwältin geleitet werde.
„Wir werden schonungslos aufklären“, so Blume. „Wir müssen aber auch Schlüsse ziehen, die über die Staatsgemäldesammlungen hinausgehen und dafür auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen.“ Ob er damit auch sich selbst meinte als verantwortlichen Minister? Eher nicht: In seiner Stellungnahme kritisierte Blume die „innere Verfasstheit der Staatsgemäldesammlung“ als „unzufriedenstellend“.
Ob mit dem Interims-Chef Anton Biebl, ehemals Kulturreferent der Landeshauptstadt München, als „Change-Manager“ ein Neuanfang gelingen kann? Ziel der Offensive sei laut Blume, die staatlichen Museen und Sammlungen „aus ihrem Behördendasein“ zu führen. Das dienstherrliche Bashing verkennt allerdings, dass die Museen tatsächlich einen behördlichen Auftrag haben, nämlich dafür zu sorgen, dass unrechtmäßiger Kunstbesitz an die rechtmäßigen Eigentümer restituiert wird und diese nicht nur moralische Pflicht aktiv von den Staatsmuseen betrieben (und vom Freistaat unterstützt) werden muss.
Aus dem Kunstministerium hieß es, man wolle nun „eine neue Ära der Wiedergutmachung einläuten und verloren gegangenes internationales Ansehen wiederherstellen“. Für diesen Prozess erbitte der Minister „eine ehrliche Chance“. Viele Nachfahren von in der Zeit des Nationalsozialismus enteigneten oder zum Verkauf gezwungenen Sammlern – nicht nur die Erbengemeinschaft von „Madame Soler“ – dürften bei diesen Worten die Ohren gespitzt haben.
Markus Blume könnte jetzt wirklich eine Chance ergreifen: In Berlin wird gerade über die schwarz-rote Koalition im Bund verhandelt. Die Arbeitsgruppe Kultur und Medien hat zu von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut festgehalten, man werde „die Provenienzforschung intensivieren, die Schiedsgerichtsbarkeit einführen und ein wirksames Restitutionsgesetz schaffen“. Ersteres hat Blume schon bekräftigt, die Verbindlichkeit von Schiedsrichtern muss sich zweitens erst erweisen, aber der dritte Punkt braucht dringend mehr Fürsprache. Denn für die gesetzliche Rechtssicherheit sollte sich starkmachen, wer wirklich Wiedergutmachung möchte.
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