Eine Realfilm-Version von Disneys "Schneewittchen"? An sich doch eine Erfolg versprechende Idee, oder? Schließlich wird das Zeichentrickfilm-Original von 1937 noch immer als einer der besten Filme aller Zeiten gehandelt. Doch das Remake sorgt für Ärger - richtig Ärger!
Mehr als 200 Jahre sind vergangen, seit zwei als Brüder Grimm bekannt gewordene Hessen zu der Tat schritten, für die sie heute noch berühmt sind: Sie begannen damit, teilweise seit Jahrhunderten kursierende Erzählungen, Sagen und Märchen einzusammeln und zu verschriftlichen. Sie fügten Fragmente aus dem deutschen und anderen Kulturkreisen zusammen, dichteten Dinge hinzu und feilten an den Texten in ihrem Standardwerk der "Kinder- und Hausmärchen", das sie von 1812 bis 1858 kuratierten.
Eines der berühmtesten Märchen aus ihrer Feder ist zweifelsohne "Sneewittchen", heutzutage als "Schneewittchen" bekannt. Erzählt wird mittlerweile vor allem die letzte Fassung von 1857, in der die böse Stiefmutter der Königstochter nach dem Leben trachtet. Im Original von 1812 war es dagegen noch die leibliche Mutter - auch wenn sie sich vor Schneewittchens Geburt noch ein Kind "so weiß wie Schnee, so rot wie Blut, und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen" des Ebenholz-Fensters, aus dem sie gerade hinausblickte, gewünscht hatte.
Fast jede und jeder dürfte die Geschichte im Schlaf aufsagen können: Vom "Spieglein, Spieglein an der Wand" über den Jäger, der Schneewittchen töten soll und es doch laufen lässt, bis hin zu den sieben Zwergen. Von den drei Mordversuchen - mit Schnürriemen, Kamm und Apfel - der eitlen Königin an ihrer Stieftochter über den gläsernen Sarg bis hin zu dem Prinzen, der sich in Schneewittchen schockverliebt, es vom Dauerschlaf erlöst und stante pede heiratet.
Zu grausam für Disney
Und wenn sie nicht gestorben sind … Nein, so endet "Schneewittchen" tatsächlich nicht, sondern mit der garstigen Stiefmutter, die in "eiserne Pantoffeln über Kohlenfeuer" schlüpfen und in den "rotglühenden Schuhen" so lange tanzen musste, "bis sie tot zur Erde fiel".
Ziemlich grausam also. Und selbstredend zu grausam für Disney, als die Filmschmiede 1937 das Märchen zu ihrem ersten abendfüllenden Zeichentrickfilm überhaupt auserwählte - auch wenn in "Schneewittchen und die sieben Zwerge" die Königin für ihre Missetaten ebenfalls mit dem Leben büßt. Auch sonst wurden einige Teile der Erzählung für die Leinwand geglättet und gestrafft. Im Großen und Ganzen hielt sich der Musical-Streifen mit Songs wie "Heigh-Ho" ("Heiho") oder "Whistle While You Work" ("Wer bei der Arbeit pfeift") jedoch an die Grimm'sche Vorlage.
Der Film schrieb Geschichte. Nicht nur, weil er seinerzeit von der Kritik gefeiert und mit Preisen überhäuft wurde. Nicht nur, weil er den damals noch vergleichsweise jungen Walt-Disney-Studios Rekorderlöse bescherte und den Weg zum Mammut-Konzern ebnete. Nicht nur, weil ihn auch viele, die erst lange nach 1937 aufgewachsen sind, gesehen haben dürften - bis heute.
Der Prinz, ein "Stalker"?
"Schneewittchen und die sieben Zwerge" gilt vielmehr noch immer als "besonders wertvoller" Leinwand-Meilenstein. Das American Film Institute etwa zählt ihn nach wie vor nicht nur zu den besten Animationsfilmen aller Zeiten, sondern auch zu den 100 größten US-Filmen überhaupt.
Schauspielerin Rachel Zegler allerdings sieht das anders. Ausgerechnet, möchte man sagen, wurde sie doch dazu auserkoren, im Realfilm-Remake, das Disney nun in die Kinos bringt, das "Schneewittchen" zu geben. Das Original von 1937 sei "sexistisch", lästerte sie etwa. Die darin erzählte Liebesgeschichte sei "veraltet" und der Prinz doch eigentlich nichts anderes als ein "Stalker". Nicht nur beim Disney-Konzern soll dies in etwa so gut wie ein vergifteter Apfel angekommen sein, Zegler erzürnte auch so einige in den sozialen Netzwerken: "Walt Disney dreht sich im Grab um."
Doch damit nicht genug des Ärgers um die Neuverfilmung von "Schneewittchen" - noch lange nicht. Auch politische Grabenkämpfe der beiden Hauptdarstellerinnen überschatten den Kinostart. Während sich Zegler, die eine kolumbianische Mutter und einen Vater polnischer Herkunft hat, in der Vergangenheit mehrfach - unter anderem mit einem "Befreit Palästina"-Post bei X - für die Palästinenser starkgemacht hat, ist Gal Gadot, die just die böse Königin mimt, Israelin. Sie forderte zuletzt unter anderem die Freilassung der israelischen Geiseln, die die Hamas in den Gazastreifen verschleppt hat.
"Verdammt rückständig"
Die Folge sind nicht nur Boykottaufrufe von beiden Seiten gegen "Schneewittchen". Als Gadot in dieser Woche mit einem Stern auf dem Walk of Fame in Hollywood geehrt wurde, kam es am Rande der Zeremonie auch zu Demonstrationen und Protesten.
Aus einem ganz anderen Grund stört sich wiederum der nicht zuletzt als "Tyrion Lannister" in "Game of Thrones" bekannte Peter Dinklage an "Schneewittchen". Er echauffierte sich darüber, dass Disney sich noch einmal der "verdammt rückständigen Story über sieben Zwerge, die zusammen in einer Höhle leben", angenommen habe.
Das Filmstudio reagierte darauf mit dem Hinweis, man habe sich mit Vertretern der Kleinwüchsigen-Gemeinschaft beraten und sei bemüht, Klischees aus dem Original in diesem Kontext zu vermeiden. Doch das ist offenbar nicht die einzige Konsequenz, die Disney gezogen hat. Anders als der Streifen von 1937 kommt der jetzige Realfilm nicht als "Schneewittchen und die sieben Zwerge" (im Original: "Snow White and the Seven Dwarfs") ins Kino, sondern eben nur als "Schneewittchen" ("Snow White"). Wer den Streifen dann guckt, wird feststellen, dass der Begriff "Zwerg" ("Dwarf") auch in den Dialogen komplett ausgespart wird.
"Schneewittchen und die Durchschnittsleute"
Unter den Darstellern der sieben fleißigen Bergarbeiter befindet sich mit Martin Klebba nur ein Schauspieler, der tatsächlich kleinwüchsig ist. Die anderen sechs "Zwerge", die nicht so genannt werden dürfen, werden von Menschen verkörpert, die im wahren Leben eine Körpergröße von über 1,50 Meter haben. Der Animationskunst sei Dank wirken sie auf der Leinwand dann aber auch kleinwüchsig. Ein Umstand, der ebenfalls für Unmut sorgte, etwa bei dem auch als "Wee Man" bekannten "Jackass"-Stuntman Jason Acuña. "Warum engagiert ihr 'Schneewittchen und die sieben Durchschnittsleute'?", spottete er.
Womit wir schon mittendrin wären in der Debatte, die alle anderen Diskussionen über den Film noch einmal in den Schatten stellt: die Kritik daran oder - je nach Sichtweise - die Freude darüber, dass Disney das altehrwürdige Märchen dem Zeitgeist oder aber schlicht der Moderne angepasst hat. Das fängt schon bei der Hauptfigur an. Kritik daran, eine Darstellerin mit Wurzeln in Lateinamerika als Schneewittchen zu besetzen, wird mit Rassismus-Vorwürfen begegnet. Aber natürlich weicht der Film hier von der historischen Vorlage ab. Die Worte "So weiß wie Schnee, so rot wie Blut, und so schwarz wie das Holz an dem (Ebenholz-)Rahmen" kommen dementsprechend ebenfalls nicht vor.
Auch sonst ist dem Cast - mit Darstellerinnen und Darstellern sämtlicher Ethnien - das Bemühen um Diversität deutlich anzusehen. Das gab es jedoch auch schon in vorangegangenen Hollywood-Produktionen zu beobachten. Schließlich aber wurde auch die Handlung von "Schneewittchen" einer Generalüberholung unterzogen. Nur so viel: Einen Prinzen, der die Königstochter erst rettet und dann zur Gemahlin an seiner Seite macht, sucht man in dem Film unter der Regie von "The Amazing Spider-Man"-Macher Marc Webb vergebens.
Was nicht passt, wird passend gemacht?
"Ach du Schreck, Schneewittchen woke up", wird da manch einer rufen, wenn die Scheintote mit Apfel-Vergiftung plötzlich wieder die Augen öffnet. Andere werden dagegen mit ähnlicher Zufriedenheit wie Rachel Zegler feststellen: "Sie träumt nicht von der wahren Liebe, sondern davon, die Anführerin zu werden, von der sie weiß, dass sie es sein kann."
Abgesehen davon ist "Schneewittchen" auch 2025 ein sehenswerter Disney-Streifen, mit bildgewaltiger Opulenz, niedlichen Gimmicks und einigen der liebgewonnenen alten und vielen neuen Songs. Die Frage allerdings ist berechtigt: Muss man ein nun mal vor über 200 Jahren entstandenes und damit naturgemäß ein Stück weit aus der Zeit gefallenes Märchen derart zurechtbiegen? Was nicht passt, wird eben einfach passend gemacht? Vielleicht täte Hollywood besser daran, sich endlich mal wieder auf neue Geschichten anstelle der unzähligen Remakes zu fokussieren - und "Schneewittchen" seinen Frieden zu gönnen.
"Schneewittchen" läuft ab sofort in den deutschen Kinos
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke