Inhalt des Artikels:

  • Tschechien erhöht Militärausgaben, will verstärkt rekrutieren
  • Anreize: Prämien, Vergünstigungen, bessere Gesundheitsversorgung
  • Hürden für Militärdienst sollen sinken
  • Reservedienst neu denken
  • Rüstungsindustrie erwartet Aufschwung

Nicht erst seit dem Ukraine-Krieg wird in Tschechien verstärkt diskutiert, ob das Land sich im Ernstfall militärisch verteidigen könnte. Zwar ist Tschechien seit 1999 Nato-Mitglied und könnte auf den Beistand der Partner zählen. Doch in Zeiten voller Umbrüche rückt die Frage nach der eigenen Verteidigungsfähigkeit wieder in den Fokus.

Wie bereit die Tschechinnen und Tschechen sind, im Falle eines Angriffs ihr Land mit der Waffe zu verteidigen, hat das Nachrichtenportal Seznamzpravy vor einigen Monaten in einer Umfrage erheben lassen. Aus den Zahlen geht hervor, dass etwa 16 Prozent der Bürger auf jeden Fall dazu bereit wären, weitere 23 Prozent wären eher bereit, zusammen also weniger als 50 Prozent.

Diese tschechischen Jugendlichen, hier bei einem freiwilligen Militärtraining, können sich den Dienst an der Waffe offenbar vorstellen.Bildrechte: IMAGO / CTK Photo

Tschechien erhöht Militärausgaben, will verstärkt rekrutieren

Ähnlich wie die meisten europäischen Länder erhöht Tschechien seine Verteidigungsausgaben im Moment massiv. Erst kürzlich beschloss die liberal-konservative Regierung von Premier Petr Fiala, die Mittel in den nächsten fünf Jahren nach und nach bis auf mindestens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Das Nato-Ziel von zwei Prozent hat Tschechien ebenfalls vor Kurzem erreicht. Das zusätzliche Geld soll unter anderem in die Beschaffung moderner Ausrüstung fließen.

Doch das größte Problem der tschechischen Verteidigungsfähigkeit liegt darin, dass es mühsam ist, Personal zu finden. Seit 2005 die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft wurde, gibt es eine Berufsarmee. In der dienen knapp 24.000 Tschechinnen und Tschechen, ihre Zahl stagniert in der Tendenz oder fällt sogar leicht. Ob das Ziel erreicht werden kann, bis 2030 ein Heer von bis zu 37.000 Soldaten und Soldatinnen zu haben, ist fraglich. 

Anreize: Prämien, Vergünstigungen, bessere Gesundheitsversorgung

Der Staat versucht daher auf verschiedene Art und Weise, neues Personal zu verpflichten und lässt sich das einiges kosten. Ab Juli sollen die Gehälter um bis zu 12.000 Kronen (ca. 500 Euro) monatlich steigen. Neue Rekruten erhalten nach einem zweimonatigen Grundkurs eine Prämie von 15.000 Kronen (600 Euro).

Weitere Vergünstigungen umfassen 30 Tage bezahlten Urlaub, Wohnkostenzuschüsse, private Rentenvorsorge und volle Gehaltszahlung im Krankheitsfall. Berufssoldaten profitieren zudem von einer besseren Gesundheitsversorgung. Speziell Qualifizierte wie Ärzte oder IT-Spezialisten erhalten zusätzliche Prämien. Insgesamt versucht sich die Armee modern und transparent zu geben und legt beispielsweise auf einer Webseite alle möglichen Informationen offen.

Hürden für Militärdienst sollen sinken

Seit einiger Zeit betreibt die Armee sogar eine virtuelle Musterungsstelle, bei der man sich als Soldat oder Soldatin melden kann. Erst zur gesundheitlichen Untersuchung muss man persönlich in einem Militärkrankenhaus erscheinen. Gerade dort war in letzter Zeit aber für viele Interessierte Endstation, denn rund 45 Prozent der Bewerber scheiterten an den Gesundheitstests.

Nun hat man diese Kriterien etwas gelockert. So sollen etwa eine leichte Asthmaerkrankung, hoher Blutdruck oder sogar eine leichte Form von Diabetes kein Ausschlussgrund mehr sein, wenn jemand in der Truppe dienen möchte.

Sogar die früher obligatorische Bedingung, dass Interessierte am Militärdienst eine vollkommen "weiße Weste" haben mussten, also nie in Konflikt mit dem Gesetz geraten sein durften, soll gelockert werden. Neu soll gelten, dass eine frühere Strafe, sofern sie im Strafregister gelöscht wurde, kein Problem für den Soldatenberuf mehr sein soll.

Reservedienst neu denken

Neben der regulären Armee soll aber in Tschechien auch eine starke Reservisten-Einheit aufgebaut werden. Auch hier ist die Zielvorgabe sehr ambitioniert: Bis 2030 soll deren Zahl auf 10.000 anwachsen, wobei 2023 nur knapp 4.000 Männer und Frauen aktiv waren. Einen großen Unterstützer findet dieses Modell bei Tschechiens Staatspräsidenten Petr Pavel, der nicht nur kraft seines Amtes Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, sondern als Vier-Sterne-General einst den tschechischen Generalstab, wie auch später in Brüssel den Militärausschuss der NATO leitete.

Pavel sagte vor Kurzem bei einem Truppenbesuch, ihm schwebe ein Modell vor, bei dem Reservisten-Einheiten so etwas wie die freiwillige Feuerwehren oder andere Vereine wären, in denen man sich regelmäßig trifft und gemeinsam etwas unternimmt. Nur, dass in der Reservisten-Einheit eben bestimmte Fähigkeiten geübt werden, die der Landesverteidigung dienen.

Ein Thema scheint aber nach wie vor tabu zu sein: Die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht. Tschechische Politiker wissen, wie unbeliebt so ein Vorstoß wohl bei der Bevölkerung wäre. Auch hier ergab eine Umfrage vom letzten Jahr ähnliche Zahlen, wie bei der Bereitschaft, das Land zu verteidigen: Für eine Neuauflage der Wehrpflicht sprechen sich demnach nur rund 19 Prozent der Befragten aus, weitere etwa 28 Prozent wären eher dafür.

Rüstungsindustrie erwartet Aufschwung

Auch die Anschaffung neuer Waffen ist eine wichtige Säule, um die Verteidigungsfähigkeit Tschechiens zu stärken. Davon erhofft sich die Regierung zudem starke Impulse für die heimische Rüstungsindustrie, die auf eine lange Tradition bis in die Zeit zwischen den zwei Weltkriegen zurückblicken kann. Einige Rüstungsgüter wurden später auch in der sozialistischen Ära weiterproduziert, etwa Pistolen, Haubitzen, Flugzeuge oder Flugabwehrsysteme, oft war die Bauart sowjetisch. Nach der Wende brach die Waffenproduktion dann ein, viele Unternehmen gingen wegen des Wegfalls der früheren Märkte im Ostblock pleite. Nun erlebt dieser Wirtschaftszweig seit einigen Jahren aber wieder einen Aufschwung, der sich wegen der derzeitigen Aufrüstung zu einem regelrechten Boom verfestigen könnte.

Die tschechische Verteidigungsstrategie will also einerseits ambitioniert modernisieren. Andererseits ist es schwer, Soldatinnen und Soldaten zu rekrutieren, auch die gesellschaftliche Unterstützung ist mäßig. Ob Tschechiens Verteidigungspläne erfolgreich umgesetzt werden können, hängt davon ab, ob finanzielle Anreize und Imagekampagnen die Rekrutierungslücke schließen können – ohne dabei auf unpopuläre Zwangsmaßnahmen zurückgreifen zu müssen.

MDR (usc)

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