Wenn Amy Sherman-Palladino und ihr Mann Daniel eine neue Serie ankündigen, sind die Erwartungen hoch. Aus der Feder der beiden stammen einige der erfolgreichsten Produktionen seit den 90ern. Sie schrieben an der in den USA gefeierten Serie „Roseanne“ mit, erdachten „Gilmore Girls“, das 20 Jahre nach Erscheinen immer noch von Fans in Dauerschleife gesehen wird, und zuletzt die Amazon-Serie „The Marvelous Mrs. Maisel“. Mit dementsprechend viel Vorfreude haben Zuschauer auf das neue Projekt der beiden gewartet, das nun ebenfalls auf Amazon angelaufen ist.

„Étoile“ bietet dann auch einige typische Palladino-Merkmale – und ist doch ganz anders. Es spielt etwa nicht mehr nur in Amerika, sondern auch in Europa. Die Szenerie wechselt zwischen einem Ballett-Ensemble in Paris und einem in New York hin und her. Beide gehören zu den renommiertesten ihres Landes und kämpfen dennoch ums Überleben. Daher schlägt die Leiterin des Ballet Paris, gespielt von Charlotte Gainsbourg, einen Tausch vor: Die größten Stars aus Paris sollen für ein Jahr nach New York wechseln und umgekehrt. Der Medienrummel um den Tausch soll die Ticketverkäufe ankurbeln – gleichzeitig entwickeln sich Affären und kulturelle Streitigkeiten.

Die Palladinos haben mit „Étoile“ eine Liebeserklärung an die Kunst in unsicheren Zeiten geschrieben. Schnell denkt man an Donald Trumps Übernahme des Kennedy-Centers und die Kulturkürzungen in Deutschland. Doch die Serie ist keine aktuelle Kritik, sondern zeigt die Zeitlosigkeit des künstlerischen Ringens: Kunst musste schon immer um ihr Überleben kämpfen, zwischen großartigen Visionen, Publikumserwartungen und schnöder Finanzierbarkeit. Am Ende dann das Wunder, dass dennoch etwas auf die Bühne, ins Museum oder die Leinwand kommt.

Bekannte Gesichter

Als Markenzeichen der beiden Serienmacher bewähren sich die zahlreichen Neurosen, von denen Charaktere und Dialoge zeugen. Es wird zielsicher aneinander vorbeigeredet. Auch einige der Schauspieler sind bereits bekannt aus dem Palladino-Universum. Darunter Luke Kirby und Gideon Glick aus „Mrs. Maisel“ sowie Kelly Bishop und Yanic Truesdale aus „Gilmore Girls“. Untypisch ist hingegen, dass die Serie weniger Wert auf Atmosphären-Sehnsucht legt als seine Vorgänger. Bei „Gilmore Girls“ reizte ein heimeliger Kleinstadtcharme und „Mrs. Maisel“ eine Diner-Romantik des New Yorks der 60er. So einen Sehnsuchtsort gibt es in „Étoile“ nicht, obwohl Ästhetik, die Tänze und die Choreografien eine große, vielleicht die größte Rolle spielen.

Ein wirklicher Plot fehlt dann aber, die Serie begnügt sich mit dem Feiern der Kunst an sich. Sie folgt einzelnen Personen mit mal kleineren und mal größeren Problemen, ohne sich wirklich zu einem großen Ganzen zu verweben: dem New Yorker Ballett-Direktor Jack (Luke Kirby), seinem Pariser Äquivalent Geneviève (Charlotte Gainsbourg), einer daueraggressiven Klima-Aktivistin und Prima-Ballerina (Lou de Laâge) und einem exzentrischen Choreografen (Gideon Glick).

Schön aber öde

Die Macher erzählen mit einer Ruhe und Langsamkeit, die bei insgesamt nur acht Folgen überrascht. Die Beziehungen, die sich in dieser Zeit anbahnen, halten nicht genug Spannung, um das Autoplay laufen zu lassen. Selbst das Schicksal der Ballett-Schulen dümpelt vor sich hin, ohne dass eine existenzielle Bedrohung wirklich spürbar würde. Es ist, als wollten die Palladinos ihre Zuschauer daran erinnern, dass Kunst auch in den leisen Bewegungen wertvoll ist. Ob sie ihr damit dienen, ist eine andere Frage.

Sinnbildlich dafür steht eine Szene gegen Ende der Serie. In Paris soll ein neues Stück aufgeführt werden, die Plätze sind voll besetzt. Doch mitten im Tanz stürmt das Choreografen-Genie Tobias die Bühne. Das sei alles falsch, er müsse den gesamten Tanz umplanen, jetzt sofort. Tobias setzt sich zwischen seine Tänzer auf den Boden und sucht nach neuer Musik auf seinem Handy. Der Haupttänzer bittet das Publikum um Verständnis, sie würden gerade Kunst beim Erschaffenwerden zusehen, und das sei eben chaotisch, verwirrend und unbequem. Doch die Zuschauer müssten da jetzt durch, im Namen der Kunst. Diese Prioritäten scheinen diesmal auch die Serien-Schöpfer gesetzt zu haben.

Amy Sherman-Palladino hat als Kind selbst eine Ballett-Ausbildung gemacht, weswegen ihr das Projekt wohl besonders am Herzen lag. Oft sind es die persönlichsten Geschichten, die am schwierigsten zu erzählen sind. Es mag der Fluch der Erwartungen sein, aber „Étoile“ entwickelt nicht den Sog seiner Vorgänger. Manche Charaktere – allen voran die Prima-Ballerina – wirken so überzeichnet, dass sie in eine Karikatur zu kippen drohen. Trotz der Schönheit der Tänze und der Pariser Ballettsäle, dem wunderbar ästhetischen Vorspann und Starbesetzung mit Charlotte Gainsbourg, scheint dieser Serie – außer der Kunst! – alles furchtbar egal. Allen voran ihre Zuschauer. Manchmal eilt einem der Ruf eben zu weit voraus – eine zweite Staffel hat Amazon bereits bestellt.

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