Ein „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ unter den Kriegsfilmen: Das ist, was Alex Garland und Ray Mendoza mit „Warfare“ im Sinn haben. Es gibt keine nennenswerte Handlung außer dem Überleben in diesem ockerfarbenen Haus in dieser ockerfarbenen Straße im Dauerfeuer von Al-Qaida. Es geht um die pure körperliche Erfahrung, die ungeschönte Realität, die nackte, blutige Wahrheit. Da ist nichts als der Einsatzbefehl und seine Ausführung, nichts als das Sirren der Kugeln, der Harndrang des Scharfschützen, das Abreißen der Funkverbindung, das Fleisch, die Schreie, der Tod.

So etwas kann natürlich nur bis zu einem bestimmten Punkt gelingen. Denn ein Buch, ein Film bleiben doch eine ästhetische Erfahrung, und die Lektüre oder die beobachtende Teilnahme im Dunkel des Kinosaals entrücken zwangsläufig von der Unmittelbarkeit. Auf der anderen Seite der Leinwand sitzt man eben nicht in voller Montur, mit die Sicht einengenden Helmen, kugelsicheren Westen, umgeschnallten Nebelgranaten, Extramunition und Kampfstiefeln. Und das ist vor allem eine gute Nachricht, nicht nur aus Gründen des Komforts.

Denn sonst müsste, wer nach den 95 Minuten, die der Film dauert – auch wenn sich die Zeit dehnt wie bei einem Unfall, den man am eigenen Leibe erlebt –, aus seinem Sessel aufsteht, gleich den Psychologen für Traumabehandlung buchen. Sehr weit ist man, zittrig und erschüttert, allerdings nicht davon entfernt. Im Fall von „Warfare“ ist es keine leere Phrase: Dieser Film ist nichts für schwache Nerven. Wie er den Krieg in seiner Reduktion auf das Wesentliche des Kampfeinsatzes simuliert, so simuliert er im Endeffekt auch eine posttraumatische Belastungsstörung.

Es braucht eine gewisse Zeit, ein paar wackelige Schritte hinaus in die deutsche Frühlingssonne und einen starken Kaffee, bis man sie halbwegs abgeschüttelt hat. Selbst Tage später spürt man ihr Nachbeben noch und meint, wenn ein Presslufthammer die Baustelle nebenan bearbeitet, die Ketten der Evakuierungspanzer zu hören, die sich endlich nähern, so quälend langsam, durch die staubigen Straßen von Ramadi im Irak.

Dorthin war Garlands Co-Regisseur Mendoza einst entsandt, im Jahr 2006, in seiner aktiven Zeit als Navy Seal, bevor er auf Filmsets als Berater anheuerte, für realistisch aussehende Kriegsszenen, und so schließlich Garland kennenlernte, auf dem Set von „Civil War“. Ihr erstes gemeinsames Projekt spielte im vergangenen Jahr einen Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten durch. Ein Szenario, das seither nicht unrealistischer geworden ist. Im letzten Akt, vor der Exekution des faschistischen Präsidenten, gab es einen spektakulären Straßenkampf in Washington, D.C., der ohne die regietaktischen Hinweise Mendozas anders ausgesehen hätte.

Die Anfänge des britischen Autors und Filmemachers Garland waren weniger grimmig, zumindest scheint es so. Sein Roman „The Beach“ – von Danny Boyle mit Leonardo DiCaprio vor 25 Jahren verfilmt – blieb kultisch verehrte Apotheose der globalen Backpacking-Kultur, Symbol für Leichtigkeit und Freiheit, obwohl er im Kern das Gegenteil davon erzählte: eine Variante von Goldings „Herr der Fliegen“ unter Halbwüchsigen, Mord und Totschlag im Paradies.

Für Boyles Zombie-Filmserien-Auftakt „28 Days Later“ (2002) schrieb Garland das Drehbuch, ebenfalls für die intellektuelle Science-Fiction „Sunshine“ (2007), beide mit „Oppenheimer“-Star-Cillian Murphy. Seine Regiearbeiten fallen auf durch formale und konzeptuelle Kühnheit. Zudem sind sie stets glänzend besetzt: „Ex Machina“ (2015) über den Geist in der Maschine mit Alicia Vikander, die Netflix-Produktion „Auslöschung“ (2018) mit Natalie Portman nach der Romanreihe von Jeff VanderMeer und eben zuletzt „Civil War“ mit Kirsten Dunst, eine Produktion von A24, des – neben Neon – beim Drahtseilakt zwischen Kunst und Kommerz erfolgreichsten Indiestudios.

„Effektiv“, erzählt Garland im Gespräch, „war Mendoza schon damals Co-Regisseur.“ Und fügt hinzu: „Ray ist eine ungefilterte Stimme, nicht nur in filmischer, sondern auch in kommerzieller Hinsicht. Es gab keine Vorgabe, dass dieser Film leicht zu verkaufen oder leicht zu verdauen sein sollte. Wir hatten eine sehr einfache Vorgabe, die darin bestand, so wahrheitsgetreu wie möglich zu sein.“

Im Interview sitzt der vierschrötige Ex-Soldat so schweigsam, wie es die Situation erlaubt, neben Garland, dem Zivilisten, den man leichter aus der Reserve lockt. Mendoza spricht, wie er das Kämpfen gelernt hat: überlegt, präzise, knapp. Es sei ihm bei diesem maximal realitätsnahen Reenactment seines eigenen Einsatzes damals darum gegangen, erzählt er, den Schauspielern – darunter die Jungstars Will Poulter und Joseph Quinn – „Autonomie beizubringen“.

Im Gegensatz zum Klischee, Soldaten befolgten stumpf Befehle, und eigenverantwortliches Handeln brächte sie nah an die Insubordination, sei eine gewisse Freiheit unabdingbar, um die Mission mit der Realität abzugleichen. Sobald die Kugeln prasseln und die Handgranaten fliegen, ist Kommunikation erschwert bis unmöglich. Dann kommt es auf eine Improvisation an, die sich an den taktischen Zielen orientiert.

Überraschenderweise erwies sich die kampferprobte Methode als hervorragende Praxis, Schauspieler zu führen. Womöglich würde sogar eine Romantic Comedy davon profitieren. „Warfare“ ist freilich weit davon entfernt: eine Zuspitzung von „Civil War“, die Essenz einer künstlerischen Vision, der immer schon das Hobbes’sche Menschenbild zugrunde lag, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei. Wölfe jagen bekanntlich im Rudel, in einer von der Evolution ausgeklügelten Hierarchie mit sorgsam verteilten Aufgaben und einer klaren Befehlskette. Sie hat sich über die Jahrhunderttausende als so effektiv erwiesen, dass auch moderne Kriegseinsätze in kleinen Trupps im Wesentlichen nach dem gleichen Muster funktionieren.

Zu Beginn schleichen die Navy Seals durch die nächtliche Stadt. Sie entscheiden sich für ein Haus, das sich gut verteidigen zu lassen scheint, dringen ein, holen die Bewohner aus dem Bett, eine panische irakische Familie mit kleinen Kindern. Dann werden Löcher in die Wand geschlagen, Scharfschützen postiert, die Funkverbindung zum Hauptquartier etabliert. Draußen beginnen die Vögel zu singen, drinnen wird nervös gescherzt. Eine verräterische Ruhe liegt über allem. Auch beim Zuschauer sind die Sinne geschärft. Sekündlich wartet man auf den Knall. Es dauert eine gute Dreiviertelstunde, bis es losgeht.

Dann ist da gleich der Nebel des Krieges, die totale Konfusion. Woher kam die Granate, die den Ersten das Trommelfell perforiert? Woher kommen die Schüsse, wie viele Gegner sind da draußen – huschende Schatten vor der Tür, dem Fenster. Sie sind wohl auch auf dem Dach.

Hektisch wird sich neu gruppiert. Ein Überflug wird angefordert, eine sogenannte „show of force“. Bombardieren ist unmöglich, in diesem eng besiedelten Wohngebiet. Aber der Tiefflug eines Kampfjets ein paar Meter über das Haus hinweg, nahe an der Schallgeschwindigkeit, zeigt Wirkung. Es ist wie der Donnerschlag eines allmächtigen Gottes.

Unten auf der Erde sind die Soldaten menschlich. Sie bluten und sterben. Der erste Evakuierungsversuch geht fehl. Eine gewaltige Explosion zerreißt das gepanzerte Fahrzeug – und einen der beiden irakischen Dolmetscher, die klar keine vollwertigen Mitglieder des Rudels sind. Sie werden im Zweifel als Erste dahin geschickt, wo es wehtut. Sie wissen es und nehmen ihr Schicksal niedergeschlagen hin. Die buchstäblich zersprengten Gliedmaße des einen bleiben auf der Straße liegen, auch am Ende, als es vorbei ist und die Al-Qaida-Kämpfer von überallher auf die Straße treten, sich die Schals abstreifen und erstmals so etwas wie ein Gesicht bekommen, denn der Fokus von „Warfare“ liegt entschieden auf den Amerikanern.

Der Film ist schwere Kost, alles andere als erhebende Unterhaltung, aber in der Zuspitzung und Intensität fast schon Pflichtstoff für eine Gesellschaft, die zunehmend über Kriegseinsätze diskutiert. „Warfare“ zeigt, ungeschönter als man es je gesehen hat – weder bei Coppola noch bei Spielberg noch bei Nolan –, was der Begriff wirklich bedeutet.

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