Mercy ist herzensgut. Sie hilft Liebeskummer-Linda, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Im Geheimen, denn Mercy leidet an einer Tageslichtphobie, seitdem ihr Hinterkopf Bekanntschaft mit einem Drehmomentschlüssel gemacht hat. Den Besitzer hat sie nun ausfindig gemacht. Böse, böse!

"Es gibt Tagmenschen und es gibt Nachtmenschen, und ich gehöre definitiv zu letzteren. Mein Leben findet nach Einbruch der Dunkelheit statt." Das klingt wie der Beginn eines schaurig-schönen Horrorromans? Könnte gut sein. Aber Erfolgsautor Sam Lloyd hat mit "Sie sieht, was du tust" keinen Blutsauger-Schocker im Sinn gehabt. Im Mittelpunkt des bei Rowohlt und Argon erschienenen Werks steht Mercy Lake, eine klassische Außenseiterin. Sie ist Anfang 20, trägt gerne kurze Latzhosen im Sommer und Doc Marten's, in Ochsenblutrot.

Tagsüber bekommt man Mercy aber nicht zu Gesicht. Sie leidet an einer Tageslichtphobie und verlässt ihr Haus nur bei Dunkelheit. Dann setzt sie sich auf ihr rotes E-Trike und besucht die Bewohner von Cranner's Fort. Menschen, auf die Mercy ein Auge hat, in deren Leben sie eingreift. Mercy manipuliert sie, mit guter Absicht. Es sind Kleinigkeiten, mit denen sie die Leben von Liebeskummer-Linda, William, dem Navigator, Jacob-allein-zu-Haus oder dem verlorenen Travis zum Besseren wenden will. Manchmal schafft sie es, dann ist Mercy glücklich. Manchmal dauert es. Aber Mercy hat Zeit. Sie hat Cranner's Fort zu ihrer Heimat gemacht.

Ein großer Schwindel

Wieso tut Mercy das? Wieso hilft sie anderen Menschen, die sie überhaupt nicht kennt. Ist sie ein Schutzengel? Das versucht ihr zumindest Louis einzureden, den sie eines Nachts auf dem Parkplatz der örtlichen Texaco-Tankstelle trifft. Smaragdgrüne Augen, Hemd und Yin-Yang-Symbol um den Hals hinterlässt er einen bleibenden Eindruck bei der jungen Frau, die sich kurz davor noch übergeben hat.

Mercy kämpft immer gegen ein ständiges Schwindelgefühl an. Es kommt und geht. Manchmal muss Mercy sich die Seele aus dem Leib kotzen. Manchmal bricht sie einfach zusammen. Manchmal kriegt sie noch die Kurve. Aber blaue Flecken und dumme Sprüche gehören zu ihrem Alltag. Louis ist da eine wohltuende Ausnahme. Er, ganz Gentleman, hilft ihr gegen drei jugendliche Skater auf dem Tankstellenparkplatz - und so kommen die beiden ins Gespräch. Wobei Mercy in ihren Ohren nur inhalts- und sinnloses Gebrabbel von sich gibt. Aber immerhin bietet sie Louis einen Kaugummi an. Es hätte schlechter laufen können.

Die beiden laufen sich von da an immer wieder über den Weg. Anfangs ist Mercy davon genervt, schließlich hat sie ein Geheimnis, das ein solches bleiben soll. Aber irgendwann ist Louis Teil ihrer nächtlichen Touren. Er ist gerührt von ihren kleinen Unterstützungsmaßnahmen, von ihren unsichtbaren Hilfen. Louis selbst hat einen anderen Weg gewählt: Seine Hilfe ist viel direkter, seine kleinen Denkanstöße sind gewalttätiger Natur. Und schon bald muss sich Mercy entscheiden, ob sie Louis' Weg, der durchaus Erfolge zeitigt, ebenfalls einschlagen will.

Eskalation in kleinen Dosen

Mercy wurde nicht in Cranner's Fort geboren. Sie ist den Raffertys gefolgt. Genauer: Simon Rafferty und dessen kleinem Sohn. Mercy darf sich ihnen wegen einer einstweiligen Verfügung nicht nähern. Die geht darauf zurück, dass sie den Sohn einst entführt hat, aus gutem Grund, wie sich nach und nach herausstellt. Simons kleiner Sohn ist Mercys Neffe. Simon, neureicher Geschäftsmann, der in Windkraft macht, war einst mit Mercys älterer Schwester verheiratet. Während eines Italien-Urlaubs, in einem einsam an einem See gelegenen Haus, wurde diese aber brutal ermordet. Mercy, die damals noch Kira hieß, entkam dem Mörder - im Gegensatz zu ihren Eltern - zwar, ein Schlag mit einem Drehmomentschlüssel auf ihren Hinterkopf veränderte ihr Leben aber abrupt.

Mercy ist sich sicher, dass Simon ihre Schwester ermordet, sie selbst erst mit einem Porsche Cayenne über den Haufen gefahren und dann zu einem Häufchen Elend geprügelt hat. Allerdings hatte Simon ein Alibi und die polizeilichen Ermittlungen verliefen damals im Sande. Aber vielleicht kann Louis ihr ja nun dabei helfen, Simon endlich zu überführen - zum Schutz ihres kleinen Neffens. Auch den hat Mercy auf ihren nächtlichen Besuchslisten: Mit Perücke und gebastelten Flügeln am Rücken gibt sie die Fee Tinkerbell und bringt dem mittlerweile Fünfjährigen des Nachts kleine Geschenke vorbei.

Doch während Simon nichts davon ahnt, ist sich seine neue Frau sicher, dass Kira alias Mercy ihnen auf den Fersen ist. Sie ruft einen alten Bekannten aus ihrer Heimat an. Er soll sich des "Problems" annehmen. Gesagt, getan. Und damit liegen alle Karten für ein spannungsgeladenes, abwechslungsreiches Ende eines Thrillerdramas auf dem Tisch! Ob Sie ein Tag- oder Nachtmensch sind, ist dabei egal: Sie werden "Sie sieht, was du tust" erst ausschalten, wenn die knapp elf Stunden Hörerlebnis vorüber sind!

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