Es gehört zu den erfolgreichsten Musicals aller Zeiten, nun erobert "Cats" einmal mehr die deutschen Bühnen. Bei der Premiere im Düsseldorfer Capitol Theater begeistert das neue Ensemble mit seinen herausragenden Gesangs- und Tanzeinlagen.
Ein leiser Gong hallt durch den Saal - dann Stille. Sekundenlang nichts als Dunkelheit. Plötzlich: ein Augenpaar. Gelb, leuchtend, katzenhaft. Es verschwindet im selben Moment, in dem es auftaucht. Dann ein weiteres. Und noch eins. Ein leises, kaum wahrnehmbares Rascheln, irgendwo zwischen den Sitzen. Die ersten Zuschauer drehen ihre Köpfe. War da gerade ... ein Schnurren? Da lösen sich aus dem Zwielicht des Bühnenbilds Gestalten, die sich nicht wie Menschen bewegen. Zuckende Ohren, gespannte Körper, ein Spiel aus Licht und Schatten. Katzen. Keine echten, doch unheimlich echt. Sie schleichen durch die Szenerie, nähern sich dem Publikum, schnuppern, beobachten.
Der Mond flackert auf, sein Licht gleitet über ein Schrottplatz-Panorama. Mülltonnen, Autowracks, Dosen und alte Möbel türmen sich zu einer Bühne, die lebt - alles überdimensional, alles aus der Sicht einer Katze. Die "Jellicle Cats" sind erwacht. Im Rhythmus einer unsichtbaren Trommel tanzen sie nun in den Mittelpunkt, jede Bewegung präzise, jede Geste voller Anmut. Ihre Augen leuchten im Schatten der Bühnenlichter, ihre Stimmen tragen die ersten Takte von "Jellicle Songs for Jellicle Cats" in den Raum. Die Grenze zwischen Tier und Mensch, Bühne und Realität beginnt zu verschwimmen.
Wer am Donnerstagabend im Düsseldorfer Capitol Theater Platz genommen hat, ist nicht einfach nur Zuschauer bei der Premiere der Gastspielreise von "Cats" durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Er wird Teil eines nächtlichen Rituals - einer Nacht in London, in der die "Jellicle Cats" nach und nach ins Rampenlicht treten, jede mit ihrer eigenen Geschichte. Sie tanzen, sie singen, sie präsentieren sich. Da wären etwa der Kätzchenbeschützer Munkustrap, sein kleiner Bruder Rum Tum Tugger - der Elvis unter den Katern -, die schöne Victoria und die verstoßene Grizabella, die sich nach vielen Jahren zu ihrem alten Stamm zurück traut und später mit "Memory" für das Highlight der Show sorgen wird. Ihr aller Ziel: vom ehrwürdigen Anführer Old Deuteronomy auserwählt zu werden, in den Himmel aufzusteigen und wiedergeboren zu werden. Und alles beginnt in diesem einen Moment, wenn der Mond über dem Schrottplatz aufgeht.
Ein Stück Geschichte
Bei den Proben in einem unauffälligen kleinen Gebäude inmitten eines Londoner Wohngebäudekomplexes, die ntv.de Ende März besuchte, konnten sich die 29 Tänzerinnen und Tänzer zwischen den anstrengenden Gesangs- und Tanzeinlagen noch ausruhen. Sie sanken auf den Boden, massierten sich die Füße, tranken mit roten Gesichtern einen großen Schluck Wasser aus ihren Flaschen. In Düsseldorf müssen sie durchweg Vollgas geben, die nächste Szene wartet nicht, sondern geht ebenso geschmeidig weiter. Der Cast verdient dafür den größten Respekt - denn was hier auf der Bühne passiert, ist kein normales Schauspiel, sondern eine körperliche Meisterleistung auf höchstem Niveau. Die Bewegungen sind nie unbewusst, jede Geste ist präzise, kontrolliert und voller Charakter. Diese konstante Präsenz, diese vollständige Hingabe an Bewegung und Ausdruck macht "Cats" zu einem Erlebnis, bei dem man den Blick nicht abwenden möchte. Auch stimmlich ist die Show ein Ereignis. Der Gesang ist kein Beiwerk - er ist genauso athletisch, genauso expressiv wie der Tanz. Jeder Ton sitzt, trotz der Sprünge, trotz der Drehungen, trotz der atemlosen Choreografien.
Seit seiner Uraufführung 1981 im New London Theatre hat "Cats" Musiktheatergeschichte geschrieben. Bis ins Jahr 2000 war es mit 7485 Vorstellungen das am längsten laufende Musical der Welt. Die Kompositionen stammen von Andrew Lloyd Webber, die Texte basieren auf T. S. Eliots humorvollem Gedichtband "Old Possum's Book of Practical Cats", der 1939 veröffentlicht und später zur sogenannten "Nonsense"-Literatur - eine Literatur, die auf absurde Weise mit Sprache, Logik und Bedeutung spielt- getauft wurde. So leitet sich der Name des Stammes - "Jellicle Cats" - auch nur vom kindersprachlichen "dear little cats" ab, also von so etwas wie "Miezekatzen".
Tatsächlich wirkt es erstaunlich, dass ein so irrsinniges Stück beim Publikum dermaßen beliebt ist. Das kann auch Chrissie Cartwright nicht leugnen. Besonders "hier drüben" - im Westen - "sind die Leute zunächst skeptisch und denken, 'es geht halt um Katzen'", sagt die britische Choreografin im Gespräch mit ntv.de. Sie muss es wissen: Seit 1986 ist sie dafür verantwortlich, die Essenz von "Cats" in internationalen Produktionen lebendig zu halten. Als langjährige Assistentin von Trevor Nunn und Gillian Lynne - den ursprünglichen Schöpfern der Londoner Inszenierung - übernahm sie später die Regie zahlreicher Neuinszenierungen weltweit.
"Das Ganze fühlt sich albern an"
Dem sind sich die Tänzerinnen und Tänzer durchaus bewusst. Eine Katze zu spielen und dabei glaubwürdig zu erscheinen, ist gar nicht so leicht. "Chrissie hat uns von Anfang an sehr deutlich gemacht, dass sich das Ganze albern anfühlen wird", erinnert sich Russell Dickson, der Munkustrap verkörpert. "Wenn man die Perücken, das Make-up, die Kostüme und das Set wegnimmt, sind wir 30 Erwachsene, die sich anziehen und so tun, als wären sie Katzen." Doch die 72-Jährige habe ihnen auch eingeprägt: "Wenn es sich albern anfühlt, ist es wahrscheinlich richtig."
Besonders in China, Südkorea und Taiwan habe das Publikum aber "ein Gefühl von Unschuld", weiß Cartwright nach vielen Asien-Touren. "Sie reagieren auf das, was sie im Moment sehen. Es ist wie die Geschichte von Peter Pan: Wenn du glaubst, dass du fliegen kannst, wirst du fliegen. Wenn du glaubst, dass sie Katzen sind, dann sind sie wirklich Katzen." Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sich Katzen geben und bewegen, wird beim Ensemble zu Hause auch mal Feldforschung betrieben. "Ich war schon immer besessen von meinem Kater. Aber in letzter Zeit ist die Besessenheit sehr intensiv", sagt Shem Omari James alias Rum Tum Tugger lachend. "Ich schaue mir immer an, was er tut, und frage mich, was er wohl denkt."
Um das Musical glaubwürdig zu machen, kommt es auf den richtigen Cast an. Chrissie Cartwright liebt und lebt "Cats" - die Choreografie hat sie nie aufgeschrieben, sie kann sie längst in- und auswendig und lehrt sie aus ihrer Erinnerung heraus. So eine Leidenschaft sucht sie auch bei den Bewerberinnen und Bewerbern. Diese müssen natürlich gut singen und tanzen können. Doch eines ist der Star-Choreografin besonders wichtig: "Ich suche jemanden, der schon immer davon geträumt hat, die Show zu machen. Für viele ist 'Cats' der Grund, warum sie tun, was sie tun, es ist etwas ganz Besonderes für sie. Also suche ich danach. Ich kann nicht sagen, was es ist. Ich bekomme einfach ein Gefühl."
Gesucht und gefunden: Für Lucy May Barker schließt sich als neue Grizabella ein Kreis. "'Cats' war die erste Show, die ich je live gesehen habe. Danach habe ich die Videokassette so oft gespielt, bis sie kaputt war. Es war eine Einführung in diese Branche und in diese Welt des Theaters", sagt die Schauspielerin und Sängerin ntv.de. "So eine schräge und wunderbare Show gab es vorher sicher nicht und ich glaube nicht, dass es seitdem so etwas gegeben hat. 'Memory' jetzt in der wunderschönen Originalproduktion singen zu können, ist ein Traum, der wahr geworden ist."
Mangel an Plot sorgt für Kritik
Bis es mit "Memory" zum Höhepunkt des Stücks kommt, vergehen mit einer Unterbrechung allerdings fast zweieinhalb Stunden - einigen Zuschauerinnen und Zuschauern ist das zu lang. Aber wo sollte man den Rotstift ansetzen und Stellen kürzen? Fragt man das Publikum, gehen die Antworten zu den Lieblingsszenen und -Charakteren weit auseinander. Während sich die meisten allein Barkers Darbietung des emotionalen Songs "100 Mal ansehen könnten", erfreuen sich wiederum andere an der Dynamik des verrückten Katzenpärchens Mungojerrie und Rumpelteazer. Und für eine in Leopard-Leggings gekleidete und mit Katzenohren ausgestattete Zuschauerin, die für die Premiere in Düsseldorf extra aus Koblenz angereist ist, ist Mister Mistoffelees der eigentliche Star der Show.
Der Mangel an Plot bei "Cats" sorgt auch immer mal wieder für Kritik. Für Cartwright geht es aber vielmehr um die Botschaft, die das Musical sendet: "Es geht um eine Figur, die schwere Zeiten durchgemacht hat und nicht in ihren Stamm zurückkehren darf. Grizabella sagt: 'Wenn du lernst, zu vergeben, wirst du verstehen, worum es bei Glück wirklich geht.' Das brauchen wir heute so dringend." Es würden jedoch mit jeder neuen Produktion Veränderungen vorgenommen. So blieben Choreografie, Geschichte und Musik zwar gleich, dazwischen werde aber alles improvisiert. "Jede neue Besetzung bringt einen frischen Wind mit rein." Die Hälfte des Ensembles war im letzten Jahr bereits in China auf Tour, der Rest ist neu. Die "alten Hasen" würden dadurch zum Umdenken gezwungen: "Sie dürfen nicht reproduzieren, was sie in China getan haben. Nur so halten wir das Stück am Leben."
Die Verfilmung des Musicals mit Judi Dench und Jennifer Hudson in den Hauptrollen, die 2019 von Kritikern und dem Publikum gleichermaßen verrissen wurde, hat sich zum Glück nicht negativ auf das Musical ausgewirkt. "Jeder hat erkannt, dass das eine andere Version des Stücks war", vermutet Cartwright. "'Cats' funktioniert besser im Theater, die Katzen bewegen sich im und sprechen mit dem Publikum, da ist immer dieser Kontakt. Das funktioniert live besser." In der Tat: Allein in diesem Jahr gibt es drei verschiedene Originalproduktionen, an denen Cartwright beteiligt ist. "Wir sind auf dem Vormarsch", lacht sie.
Verkörperte Poesie auf vier Pfoten
Der Ticketverkauf hierzulande läuft überall sehr gut. In Düsseldorf wurden mit 50.000 bereits mehr als die Hälfte der verfügbaren Karten verkauft. Wer ganz vorn sitzen möchte, sollte sich also lieber beeilen. Doch das Spektakel auf der Bühne erreicht auch die Menschen in den letzten Reihen. Allein Lucy May Barkers kann mit ihrer Stimme den gesamten Saal in den Bann ziehen. Und die akrobatischen Fähigkeiten ihrer Co-Stars bleiben noch lange in Erinnerung. Der Cast ist ein körperliches Wunderwerk, der sich mit einer Hingabe in die Bewegung wirft, als gäbe es kein Morgen. Das ist mehr als Tanz: Es ist verkörperte Poesie auf vier Pfoten.
Erst beim Rausgehen aus dem Theater, als einem die frische Luft ins Gesicht schlägt, kommt der Moment, in dem man sich fragt: Was habe ich mir da eigentlich gerade angeguckt? Erwachsene in engen Lycra-Anzügen mit Katzenschminke. Die sich zusammenkauern, an imaginären Fliegen schnuppern, sich die Handrücken lecken und aneinander reiben. Ist das absurd? Ja. Absolut. Und trotzdem - oder gerade deshalb - ist es ein Erlebnis, das sich dem Verstand entzieht. Denn Chrissie Cartwright hat völlig recht: Wenn man es wirklich glauben will, dann sind es eben keine verkleideten Menschen. Dann sind es Katzen. Man muss es nur wollen. Und vielleicht ist das das Magischste an "Cats": Dass man einen Abend lang vergessen darf, wie merkwürdig das alles ist - und einfach glauben kann.
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