Weise Menschen sind sich meist einig, dass das Leben ohne den Tod wenig Bedeutung hätte. Er rückt Dinge in Perspektive, verleiht ihnen Dringlichkeit – oder nimmt sie ihnen. Wer sich vom Leben und der Meinung anderer nicht mehr ärgern lassen will, müsse nur wirklich verstehen, dass wir alle sterben werden, sagt der Comedian Ricky Gervais. „Wer wirklich begreift, dass er sterben wird, ist kugelsicher“.
Doch zwischen Wissen und Begreifen liegt eine kleine Welt und begriffen wird oft erst, wenn der Tod schon vor der Tür steht. So ist es auch in der neuen Disney-Serie „Dying for Sex“. In ihr begreift Molly erst, dass sie unzufrieden mit ihrem Leben ist, als der Krebs zurück und diesmal nicht behandelbar ist. Sie beschließt, ihren Mann zu verlassen, der sie nur noch als Patientin sieht, weil sie ihre letzten Jahre eben nicht nur als Patientin verbringen, sondern so leben möchte, wie sie es sich bisher nicht getraut hat. Auf ihrer Bucketlist steht aber kein Fallschirmsprung oder eine Reise nach Feuerland, sondern ein Orgasmus zusammen mit einem anderen. Der sei ihr nämlich bisher verwehrt geblieben.
Dass das nicht so furchtbar traurig und kitschig wird, wie man jetzt vielleicht befürchten könnte, liegt vor allem an der Produzentin und Autorin Elizabeth Meriwether. Sie hat die Welt bereits mit der sehr erfolgreichen Comedy-Serie „New Girl“ beglückt und bricht auch in „Dying for Sex“ jeden allzu düsteren Moment schnell mit Humor. Auch Michelle Williams beweist in ihrer Rolle als Molly mit mimischer Millimeterarbeit ihr Talent für Comedy. Mal wirkt sie absolut zerbrechlich und erschöpft, dann wieder schüchtern und scheint im nächsten Moment etwas auszuhecken, von dem sie selbst noch nicht zu wissen scheint, ob sie es sich wirklich zutraut. Auch Jenny Slate glänzt in der Rolle von Mollys bester Freundin Nikki, die so chaotisch ist wie die überdimensionale Tasche, die sie überallhin mitschleppt.
Wahre Geschichte
Die Serie beruht auf einem Podcast aus dem Jahr 2020, der die wahre Geschichte von Nikki und ihrer sterbenden Freundin Molly erzählt. Diese Frauenfreundschaft ist es auch, die eigentlich im Zentrum der Geschichte steht. Nachdem Molly ihren Mann nach fünfzehn Jahren Ehe verlässt, wird Nikki zur Betreuerin für Molly, begleitet sie zu all ihren Arztterminen, schreibt Behandlungspläne auf und bucht CT-Termine. Dass ihr eigenes Leben darüber zerbricht, wird in jeder Folge zu einem immer lauter werdenden Störgeräusch: Molly ist nicht nur die arme Kranke, sondern opfert ihrem letzten Wunsch auch das Wohlergehen ihrer Freundin. Und trotzdem kann der Zuschauer nie an der innigen Freundschaft der beiden zweifeln.
Natürlich geht es auch darum, Verlangen, vor allem das Verlangen von Frauen, ohne Scham zu erzählen. Ein Thema, das zuletzt durch die Schauspieler Gillian Anderson und ihre Sammlung weiblicher Fantasien mehr Aufmerksamkeit fand. Auch zahlreiche feministische Podcasts wie „Exactly“ von der Autorin Florence Given reden viel über weibliche Lust. „Living for Sex“ reiht sich hier ein und plädiert für Schambefreiung durch Grenzüberschreitung.
So lädt Molly in einer Szene einen Liebhaber ins Krankenhaus ein, der sich gern als Hund verkleidet und auch so behandelt werden möchte – der dann in voller Hundemontour im Krankenhaus bei ihrer Familie auftaucht. Von diesen Holzhammerszenen gibt es einige in der Serie. Sie sind aber immer nur so lange unangenehm übertrieben, bis sie noch schlimmer werden – und damit plötzlich grandios komisch. Etwas befremdlich bleibt, dass die Suche nach dem Ich mit der nach sexueller Befreiung gleichgesetzt wird. Als würde unser tiefstes Selbst allein über unser sexuelles Verlangen definiert.
Interessanter, weil auf rührende Weise verquer, sind die Momente, in denen Molly das erste Mal eine Datingapp benutzt und sich wie andere über Weihnachtsgeschenke über die vielen Dickpicks freut, die ihr zugesendet werden. Diese sind hier kein Zeichen toxischer Männlichkeit, sondern ein Symbol für Mollys Sehnsucht.
Nackt und betreten
Dass die Sehnsucht nicht sofort erfüllt wird und der Orgasmus auf sich warten lässt, ist eine weitere Hommage an die Widerspenstigkeit des Lebens. Meriwether lässt es nicht plötzlich grandios erotische Abenteuer regnen, sondern zeigt, wie merkwürdig und unsexy Sex sein kann – besonders in der Zeit von Apps. In einer Szene bittet ein Liebhaber Molly etwa, ihm einen Peniskäfig anzulegen. Beim netten Kennenlerngespräch in einem Café zuvor hatte sie nach einer schnellen Googlesuche versichert, dass sie damit umgehen könne. Doch das Konstrukt zeigt sich für Anfänger ähnlich lösbar wie ein Zauberwürfel. So steht der Mann dann mit nacktem Hintern etwas unwürdig im Tageslicht und versucht Molly durch die Mechanismen der Schlossöffnung zu leiten.
So trifft die Serie ziemlich gut, wie albern, liebevoll und schrecklich das Leben sein kann. „Dying for Sex“ bedient die komplette Palette der menschlichen Emotionen und hat sich mit Michelle Williams die perfekte Verkörperung dieser gesucht. Viele Menschen, nicht nur Frauen, werden sich in einigen Szenen wiederfinden – und vielleicht auch getröstet fühlen.
„Dying for Sex“ ist auf Disney+ zu sehen.
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