In ihrem Podcast „News Core: Politik bis Popkultur“ unterhalten sich Imke Rabiega und Julian Theilen über Trends und aktuelle Debatten. Das folgende Transkript ist eine gekürzte Essenz der Podcastfolge „Ikkimel und das Ghibli-KI-Desaster“.
Imke: Letzte Woche hat Ikkimel in Berlin gespielt. Danach bin ich in ein Ikkimel-Universum eingetaucht. Ikkimel ist eine Berliner Rapperin, die gerade auf TikTok und in der Deutschrap-Szene generell so polarisiert wie keine andere Artistin.
Julian: Ja, selbst Loredana, die eigentlich gar kein Blatt vor den Mund nimmt, nennt sie eine Katastrophe und sagt, sie verderbe die Jugend und die Jugend müsse vor Ikkimel geschützt werden. Und der Rapper Fler hat sie vor zwei Tagen in einem Beitrag auf Instagram gedisst. Er hat da geschrieben, wie kann man so hässlich, frech, untalentiert und dann auch so selbstbewusst sein. Und später hat er dann noch mal nachgelegt und gesagt, für deine frechen Disses bekommst du eine Schelle. Wenn ich dich auf der Straße sehe, dann kannst du danach sagen, ich bin ein toxisch maskuliner Mann.
Imke: Die Frage ist: Warum beschäftigen wir uns mit einem Beef in der Rap-Szene?
Julian: Weil es Popkultur ist.
Imke: Weil es Popkultur ist und weil es dabei mal wieder um eine größere gesellschaftliche Debatte geht. Ikkimel selbst bezeichnet das als Fotzen-Style. Ich würde es so übersetzen, dass es am Ende um weibliche Selbstermächtigung in einer Männerdomäne geht, also im Rap.
Julian: Wer ist Ikkimel? Sie ist Berlinerin, in ihren Zwanzigern, hat Sprachwissenschaften studiert und macht seit 2023 Mucke und mittlerweile ist sie super bekannt. Sie hat 2,5 Millionen monatliche Aufrufe auf Spotify, die Konzerte sind ausverkauft und vor einem Monat kam ihr neues Album mit dem Namen „Fotze“. Ich muss sagen, ich liebe dieses Wort übrigens, weil das so brutal ist, ich bekomme so ein Schaudern und Gänsehaut, wenn ich es sage oder höre.
Imke: Ja, ich find's auch cool, weil sie diese Wörter nimmt, die bei vielen, glaube ich, irgendwie ein Störgefühl auslösen und sie fordert sie zurück, genau wie sie es auch bei „Schlampe“ gemacht hat. Ihr Rap beschreibt ein wenig das Lebensgefühl von einem Partygirl in der Berliner Club-Szene genau jetzt, also im Jahr 2025. Es geht um Sex auf Clubtoiletten, Ketamin, After Hours und den offenen Kampf gegen all das, was Frauen unterdrücken möchte. Und das alles macht sie in einer Ästhetik, die wir eigentlich auch schon kennen. Sie rappt auf einem Vierviertel-Hardcore-Beat. Lass uns einfach mal reinhören!
Ikkimel: Keta und Krawall, meine Nase ist wund/ Titten sind prall und mein Arsch ist rund/ Das beste Pferd im Stall und ich mache mich dumm/ Wir sind so wie Captain Morgan, weil wir machen rum.
Imke: Runtergebrochen sexualisiert sie sich selbst und spielt mit Klischees von weiblichen Stereotypen, benutzt die misogyne Sprache von Männern in der Rapkultur und dreht das dann ins Feministische um. Das ist jetzt erst mal nichts komplett Neues. Auch Leute wie zum Beispiel Lady Bitch Ray haben das in Deutschland schon gemacht. Aber Ikkimel verkörpert das alles in einer noch provokanteren Weise. Ich glaube, das liegt zum Teil auch daran, dass sie sich noch besser reibt. Sie ist ein gutbürgerliches Girl. Sie ist schlau und hat studiert und deswegen eignet sie sich noch besser, um so Hasser richtig auf die Palme zu bringen.
Julian: Ja, viele Feministinnen beklagen sich ja auf Instagram darüber und werfen ihr vor, das Gegenteil von dem zu erreichen, was sie eigentlich anstrebt. Also mit Texten wie „Titten sind prall und mein Arsch ist rund“ erst recht wieder männliche Fantasiebilder zu erzeugen und sich so dem männlichen Blick zu unterwerfen, so „male gaze“-mäßig.
Imke: Ja, ja, voll. Es sind schon viele Frauen, die sie dissen. Ich glaube, das ist das, was man internalisierte Misogynie nennt. Dahinter steckt der Mechanismus, dass Frauen so lange beigebracht wurde, dass Frauen keinen Spaß an Sex haben dürfen, dass sie eine Schlampe sind, wenn sie mit mehreren Männern schlafen oder sich freizügig anziehen, dass Frauen diesen Frauenhass internalisiert haben und weitertragen, obwohl es ja eigentlich etwas ist, was sie beschränkt. Interessant ist zum Beispiel der Track „Deutschland“ von Ikkimel und Ski Aggu. Beide singen in dem Lied genau den gleichen Kram, aber nur bei Ikkimel ist es ein Problem für die Leute.
Julian: Zumindest aus sexueller Sicht, also Ski Aggu wird in den Rap-Szenen auch kritisiert, aber eher auf ästhetischer Ebene.
Imke: Sie spielt mit dieser Sexualisierung und mit diesen Stereotypen. Aber immer, wenn man denkt, okay, jetzt könnte sie dem männlichen Blick Futter bieten, durchbricht sie das direkt mit etwas Vulgärem oder Ekligen. Es gibt etwa eine Stelle in einem Lied, da singt sie über das Stöhnen und man denkt: Okay, jetzt wird es vielleicht gleich irgendwie heiß. Aber das passiert nie, weil das Nächste, was sie sagt, ist „rotzen, danach muss ich kotzen“. Der männliche Blick wird insgesamt relativ doll enttäuscht, wenn man richtig zuhört. Diese vulgäre, verrohte Sprache kommt eigentlich eher aus der Techno-Ecke. Klassische Rap-Fans fühlen sich davon eher provoziert und ältere Millennials verstehen vielleicht auch einfach die Codes nicht.
Julian: Sie verkörpert ja mit diesem provokanten Enthemmten etwas, was der Gen Z immer vorgeworfen wird, nicht zu haben, oder? Also den dumpfen Spaß, ohne zu moralisieren.
Imke: Ihre Fans sind vor allem junge Frauen der Gen Z. Und die sehen darin etwas total Selbstermächtigendes. Ich finde tatsächlich auch, dass dieses Unbeschwerte in der Grenzüberschreitung etwas ist, was sich am Zeitgeist reibt. Sie teilt in unterschiedlichste Richtungen aus. Denn neben der Sexualisierung, der Umkehr des Misogynen, ist sie am Ende auch politisch. Sie sagt zum Beispiel in einem Song: „Steh auf blaue Flecken, außer auf der Wahlkarte“. In gewisser Weise ist sie mit all diesen Dingen genau der Gegenentwurf zu diesen neuen, jungen, konservativen Männern in der Gen Z und auf der anderen Seite den Tradwives, die sie jetzt natürlich online dafür umso härter versuchen zu dämonisieren.
Julian: Sie ist sehr selbstbewusst und sagt von sich selbst, dass sie der beste Rapper in Deutschland ist. Das bringt die Leute auf die Palme.
Imke: Ich habe mich gefragt, ob man als Rapper nicht ohnehin sagen muss, dass man der Beste ist. Muss man, auf jeden Fall. Aber zurück zu Fler: Woher kommt der Hass bei ihm?
Julian: Fler sagt, dass Ikkimel keine Hip-Hopperin ist, sondern eine Techno-Bitch. Und ganz falsch ist der Punkt natürlich nicht, denn rappen kann Ikkimel jetzt eher nicht, finde ich. Sie vermischt irgendwelche Pogo-Vibes zu Genres. Für die Generation Z ist ihr Stil viel anschlussfähiger, weil er ohne dieses Düstere auskommt und wesentlich selbstironischer ist als der klassische Rap. Die klassische Rap-Szene versteht sich eher als Untergrundszene, die die Härte der Straße porträtieren will. Und da kommt dann so eine Studentin wie Ikkimel, die so etwas Bürgerliches wie Linguistik studiert hat, und dringt in die eigentliche Sphäre der sogenannten Unterschicht ein. Und Fler bezeichnet sie auch als Öko-Hipster und dass sie alles repräsentiere, was er in Berlin hasst. Das hat er auch mal in einem Song namens „Hipster-Hass“ beschrieben.
Fler: Ich gangbange' Hipsters deutschlandweit/ Dieses Pennerstyle-Getue ist nicht Kreuzbergstyle/ Was du arbeitest, irgendwas mit Medien/ Du neopostmodernes, enge Hosen tragendes Alien.
Imke: Okay, diese Perspektive ergibt für mich Sinn. Ikkimel wird aber auch für das gehasst, was als klassischer Bestandteil zum Rap dazugehört: die vulgäre Sprache, die Schimpfwörter-Slang-Beleidigungen und die Gewalt.
Julian: Absolut, das ist auch wichtig und cool. Es war natürlich erwartbar, dass jetzt bei Ikkimel die Sittenwächter aus den Ecken gekrochen kommen. Das war auch schon zu Beginn des Gangster-Raps so. Ich erinnere mich daran, dass Bushido mal bei Maischberger in der Talkshow saß und sich dafür rechtfertigen musste, warum er so derbe Worte benutzt. Das war ein Riesending damals, weil das dieses spießige Deutschland mega aufgerüttelt hat. Und jetzt setzt Ikkimel diese Tradition fort und verändert sie gleichzeitig. Sie hat das, was die alten Rapper nicht haben, nämlich Selbstbespiegelung und Selbstironie. Das sind die Schlüssel, die in unsere postironische Zeit passen. Da sind Fler und Co. vielleicht auch einfach ein bisschen neidisch.
Imke: Ich muss sagen, dieses bewusst Filterlose zieht mich auch an. Ich verstehe den Zeitgeist.
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