Nora Osagiobare ist in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Als Tochter eines nigerianischen Vaters war sie von klein auf mit Rassismus konfrontiert. Ihre Erfahrungen hat sie zu einem Roman verarbeitet. «Daily Soap» ist – trotz des schweren Themas – überaus lustig.
SRF: Sie haben mit «Daily Soap» eine witzige, ja sarkastische Seifenoper geschrieben. Darf ich einmal küchenpsychologisch fragen, wie viel Verletzung in dieser humorigen Aufarbeitung steckt?
Nora Osagiobare: Oh, sehr viel. Der Roman ist ganz klar eine «Frustrationsverdauung», auch wenn er noch so lustig daherkommt. Rassismus-Erfahrungen, die sich über Jahrzehnte in mir angestaut haben, haben sich darin Bahn gebrochen.
Wie sahen denn Ihre frühesten Rassismus-Erfahrungen aus?
Ich erinnere mich, wie meine Mutter mit mir an der Hand angepöbelt worden ist. Ich erinnere mich auch, wie mein Vater im Zug angestarrt oder auf aggressive Weise gefragt wurde, woher er denn komme.
Als kleines Kind empfand ich den Rassismus vor allem auf meinen Vater bezogen. Je älter ich wurde, desto mehr habe ich wahrgenommen, dass er auch mir gilt.
Ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen, dass etwas mit mir nicht stimmt.
In der Schule wurde ich von Lehrern, anderen Kindern und deren Eltern kritisch beäugt oder sogar beschimpft.
Ich habe gespürt, dass das nicht okay ist, aber niemand hat mich in meinem Unrechtsempfinden bestärkt. Ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen, dass etwas mit mir nicht stimmt.
Wird Ihnen dieses Gefühl bis heute vermittelt?
Ich versuche, nicht alles an mich heranzulassen, negative Erlebnisse zu ignorieren. Aber diese Kraft habe ich nicht immer. Wenn ich angerempelt werde, frage ich mich meistens: Liegt es an meiner Erscheinung, oder hat die Person einfach schlechte Laune?
Das ist im Grunde die perfideste Form von Rassismus – wenn man nicht weiss, ob man sich alles bloss einbildet. Aber ab einer gewissen Anzahl solcher Vorfälle komme ich nicht umhin, von rassistischen Motiven auszugehen.
Wie sind Sie darauf gekommen, diese Erfahrungen ausgerechnet in Form einer Seifenoper aufzugreifen?
Als Kind habe ich mit meiner Mutter viele Seifenopern geschaut. Wir haben uns schlappgelacht über die überzeichneten, unechten Charaktere. Seifenopern leben ja davon, dass niemand gegen den Status quo aufbegehrt. Nie stellen die Armen infrage, ob sie das eigentlich wollen: den Reichen die ganze Zeit hinterherputzen.
Dieser Eindruck von «Da stimmt doch etwas nicht» hat sich überlagert mit dem, was ich über die Schweiz erzählen wollte.
Sie kritisieren mit dem Buch nicht nur den Rassismus, sondern auch die Ungerechtigkeit zwischen Arm und Reich, zwischen Leuten mit Macht und den richtigen Kontakten, und jenen, die ausgeliefert sind.
Aus dem Gefühl heraus, nicht richtig dazuzugehören, hat sich bei mir wohl ein sehr distanzierter Blick auf die Schweiz entwickelt. Ich beobachte hier eine gewisse Trägheit, etwas zu ändern. Besonders stört mich die Schönrederei. Dass manche Leute mir – also jemandem, der täglich davon betroffen ist – erzählen wollen, es gebe hierzulande keinen Rassismus, grenzt an Gaslighting.
Bei aller Kritik: Gibt es auch etwas, das Sie an diesem Land mögen?
Ja, natürlich, ganz viel. Die Berge. Die Natur. Dass alles reibungslos funktioniert. Es ist ein wunderschönes Land und letztlich meine Heimat. Ich hatte einfach keine Lust, ein Buch über die guten Aspekte zu schreiben; das können andere machen. Christoph Blocher zum Beispiel.
Das Gespräch führte Katja Schönherr.
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