Sie machen mich ja zu 24 Personen auf einmal“, staunt die Frau im Fernsehstudio. Und sie hat natürlich recht. Der Mann gegenüber hat gerade in einem ziemlich aberwitzigen Parforceritt des Mansplaining Hildegard Knef erklärt, wer Hildegard Knef ist. Die hat es natürlich nicht anders gewollt. Wollte immer alles sein und überall. War die mit einiger Sicherheit öffentlichste Frau und der gebrochene Spiegel der frühen Bundesrepublik.

Im Dezember wäre die Chansonniere, Schauspielerin und Bestsellerautorin einhundert Jahre alt geworden, ihr Werk wird auf CDs, Büchern und Filmen schon jetzt zu einem Psychogramm aufgefächert, das mehr Facetten hat als die Kleider, die sie zu ihren Chansonabenden trug. Die Knef war schon zu Lebzeiten immer mal weg, um dann triumphal wieder aufzutauchen, eine neue Generation aber kennt sogar „Für mich solls rote Rosen regnen“ womöglich nur noch aus Verballhornungen und schlechten Coverversionen.

Nicht dass es seit ihrem Tod vor 22 Jahren nicht schon genug an Knefiana gegeben hätte. Die füllen inzwischen mehrere Regalmeter. Und mit nicht vielen wurde man richtig glücklich – mit dem Knef-Biopic, in dem Heike Makatsch die Knef gab, waren es noch nicht einmal die unmittelbar Beteiligten. Man hätte sich allerdings einen schlechteren Start fürs Knef-Jahr vorstellen können als „Ich will alles“, die Dokumentation der Schweizer Filmemacherin Luzia Schmid.

„Ich will alles“ taucht – sozusagen unordentlich chronologisch – ein in die Entwicklung der 24 Personen, die Hildegard Knef mindestens war, und enthält sich dabei jeglicher Mansplaining-Attitüde. Schmid wertet die Knef nicht, stilisiert sie nicht. Ordnet locker, schneidet aus unbekannteren Ecken des geradezu unendlich großen Interviewfundus, den Hildegard Knef hinterlassen hat, und Auszügen aus ihrer Autobiografie „Der geschenkte Gaul“ (die aus dem Off von Nina Kunzendorf gesprochen werden) die Biografie einer vor allem für die (patriarchalen) frühen bundesrepublikanischen Verhältnisse gefährlich selbstbestimmten Frau.

Sie lässt Hildegard Knef 14 ihrer manchmal unheimlich autobiografischen Chansons singen. Lässt sie vor allem aber reden. Und allein ihr in „Ich will alles“ beim allmählichen Verfertigen ihrer oft herrlich selbstironischen, unbeschränkt offenen und manchmal geradezu schmerzhaft das eigene Ich ausstülpenden Gedanken zuzusehen und ihren so spontan wie perfekt formulierten Geschichten und Erzählungen zuzuhören, ist den Gang ins Kino wert.

Ihre Poesie, ihr Witz, ihre Coolness und unbedingte Klugheit. Ihre Fähigkeit sich komplett zu öffnen und trotzdem distanziert zu bleiben. Ein gewissermaßen offenes Rätsel zu werden. Man wird ganz wehmütig.

„Ich habe Ehrgeiz“

„Ich will alles“ beginnt mit dem Rote-Rosen-Song, natürlich. 1969 singt sie da. Im Paillettenkleid. Dramatisch geschminkt. Die Kamera begleitet sie, zeigt sie ganz nah, liebt sie sehr, geht mit ihr hinter die Bühne. „Ich habe Ehrgeiz“, sagt sie, was nahezu alles erklärt, „werde ihn behalten. Er begleitet mich wie eine Liebe, die gute und schlechte Tage hat.“

Von da aus streift „Ich will alles“ durch das Leben der vielleicht letzten Deutschen, die den Titel Diva tragen durfte. Ein Psychogramm entsteht beim Abfahren der Fieberkurve ihrer Karriere – das der Knef und das ihres Landes. Es ist alles drin, in „Ich will alles“. Die Geschichte ihrer Beziehung zum Tobis-Chef und Goebbels-Intimus Ewald von Demandowsky, der Aufstieg zum makellosen Gesicht eines neuen Deutschland in Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“.

Das Scheitern in Hollywood und der Triumph am Broadway, der Skandal um ihre sechs Sekunden Nacktheit in „Die Sünderin“, die in Deutschland die Kinos brennen ließ und, wie sie sagt, „den Produzenten reich und sie lächerlich machten“, als Deutschland „von einer auf Keuschheit basierten Betulichkeit“ war. Die Männer ihres Lebens. Überhaupt alles an ihrem Leben, das sie in aller Öffentlichkeit austrug, als das noch niemand tat, vor allem noch keine Frau.

Das Gründen und Scheitern einer Familie, die Beziehung zu ihrer Tochter Christina, die als einzige neben Paul von Schell, dem dritten Knefschen Ehemann, von Schmid neu interviewt wurde, die Schmerzen, die Tablettenabhängigkeit, die Krebs- und die Schönheits-Operationen. Begleitet immer von Fragen der Männer.

„Warum dann noch mal freiwillig unters Skalpell“, fragt der Moderator Joachim Fuchsberger sie einmal. „Die Emanzipation“, sagt sie, „hat eben nicht wirklich stattgefunden. Gerade in meinem Beruf wird eine gewisse Zeitlosigkeit verlangt. Ich habe nicht vor, jetzt 18-Jährige zu spielen. Aber die Zeitlosigkeit wird abverlangt: ein gewisser Glamour, etwas Unveränderbares, das von Männern nie verlangt wird.“

Das könnten Schauspielerinnen heute noch sagen, denen ab fünfzig spätestens kaum mehr eine Rolle angeboten wird. Und immer noch hat die deutsche (Männer-)Gesellschaft Angst vor intelligenten, klug ihre Zeit begleitenden Frauen. Luzia Schmid macht aus der Knef keine emanzipatorische Ikone. „Ich will alles“ ist das Mosaik eines selbstbestimmten Lebens und zeigt den Preis, den Hildegard Knef dafür bezahlen musste, den sie bereit war zu zahlen.

Man staunt, man weint mit. Und man will hinterher sofort ein paar Platten kaufen, ihre Autobiografie „Der geschenkte Gaul“ aus dem Büchernachlass der Eltern klauben. Und „Die Mörder sind unter uns“ schauen.

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