Immer und immer wieder muss sich die Dirigentin Julia (Marie Leuenberger) diesen einen Satz anhören: «Das ist alles ganz normal.» Julia glaubt davon kein Wort: Sie hat soeben in einer Kinderwunschklinik ein Baby zur Welt gebracht, und seither ist überhaupt nichts mehr normal – am allerwenigsten der eiskalte Blick ihres Säuglings.

Entweder ist eine grössere Verschwörung im Gang, womöglich übersinnlicher Natur, oder es ist schlicht Julia selbst, die den Verstand verliert. So oder so: «Mother’s Baby» der Österreicherin Johanna Moder erzählt eine postpartale Depression als Paranoia-Thriller – so, als würde sie durch einen Verstärker laufen, der alles verzerrt.

Leuenberger zieht in der ambivalenten Rolle erstaunliche Register und dirigiert in einigen Szenen gar ein Orchester.

Schauspielpreis in Reichweite?

Theoretisch kann die Schweizerin damit an der Berlinale einen Preis gewinnen: Die Internationale Jury (dieses Jahr unter der Leitung des US-Filmemachers Todd Haynes) vergibt einen Silbernen Bären für die beste schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle. Doch da dieser Preis über alle Geschlechter verteilt nur einmal vergeben wird – und der diesjährige Wettbewerb einige darstellerischen Kraftakte zu bieten hatte – ist die Konkurrenz gross.

Legende: Marie Leuenberger ist bei der 75. Ausgabe der Internationalen Filmfestspiele Berlin zu Gast. KEYSTONE/DPA/Soeren Stache

Überhaupt, die Konkurrenz: Die österreischisch-schweizerische Koproduktion «Mother’s Baby» – so gelungen sie auch ist – wirkt vergleichsweise zahm im Vergleich zu einem anderen, ähnlich gelagerten Wettbewerbsbeitrag. Im US-Psychothriller «If I Had Legs I’d Kick You» übersteht eine weitere, von der Australierin Rose Byrne verkörperte Mutter noch weit nervenaufreibendere Vorkommnisse.

Starke Konkurrenz

Da die internationale Jury insgesamt nicht weniger als acht Bären vergibt, ist eine Auszeichnung in Richtung Schweiz durchaus denkbar, aber in den Hauptkategorien wird es eng. Das Niveau der 19 Wettbewerbsfilme ist allgemein hoch, und vieles im Programm ist aktueller, verbindlicher und formal gewagter als «Mother’s Baby», der mit seinem Thema der nachgeburtlichen Verunsicherung nicht unbedingt Neuland betritt.

Ähnlich dürfte es dem Lausanner Lionel Baier ergehen: Auch seine Literaturverfilmung «La cache» ist zwar ein in sich stimmiger Film – und ein humorvoller obendrein – aber das Thema eines kleinen Jungen, der in die studentischen Proteste von 1968 in Paris hineingezogen wird: Das wirkt zu tief verankert in einer vergangenen französischen Kultur, um hier in Berlin grosse Wellen schlagen zu können.

Schweiz hat schon gewonnen

Anderswo am Festival hat die Schweiz aber bereits jetzt gepunktet: Am Berlinale Co-Poduction Market – einer dem Festival angestammten Branchenveranstaltung – ging der mit 20’000 Euro dotierte Eurimages Co-production Development Award an die Schweizer Firmen Cinédokké & Okofilm Productions für ihr Projekt «Ibicaba – Visions of Paradise».

Inszenieren wird diesen Film keine Unbekannte: Es ist die einstige Locarno-Gewinnerin Andrea Štaka («Das Fräulein», 2006).

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