Wenn ein Unternehmen die Kontrolle über ein anderes Unternehmen übernehmen will und beide börsennotiert sind, dann ist zumindest bei dem Übernahmekandidaten mit einem Kurssprung zu rechnen. Weil die Aktionäre davon ausgehen, dass sie ein gutes Angebot für ihre Anteile erhalten werden, das auf jeden Fall über dem derzeit gehandelten Preis liegt. Oft ist mit Übernahmen auch beabsichtigt, möglichst viele Anteile zu übernehmen, um komplett durchregieren zu können, den Übernahmekandidaten später auch in die eigene Struktur zu integrieren und von der Börse zu nehmen.
Im Fall von ProSiebenSat.1, dem Medienkonzern aus München, stellt sich die Sache etwas anders dar. Hier hat sich die Holding Media For Europe (MFE) mit Zukäufen bereits auf 29,9 Prozent der Anteile an P7S1 hochgearbeitet. Hinter MFE steht maßgeblich die Familie Berlusconi, die nach eigenem Bekunden einen paneuropäischen Medienkonzern aufbauen will. Mit Fernsehsendern in Italien und Spanien (im Komplettbesitz) und seit 2019 mit steigendem Engagement in Deutschland.
Am Mittwochabend nun ist MFE den nächsten Schritt gegangen und hat ein freiwilliges Übernahmeangebot an die Aktionäre von P7S1 gemacht. Dieses ist ab einem Besitz von 30 Prozent der Anteile nötig, wobei man ein Pflichtangebot offenbar vermeiden will. Doch was die Italiener anbieten, lag zum Stand der Verkündung unter dem an der Börse notierten Preis. Aktionärsvertreter beschwerten sich umgehend über den nach ihrer Meinung unverschämt niedrigen Preis.
Doch MFE will offenbar gar nicht möglichst viele Anteile zu einem für die Verkäufer lukrativen Angebot übernehmen. Sondern mehr Kontrolle mit einem überschaubaren Investment erreichen. Die Schwelle von 30 Prozent werden sie knacken, weil ein Aktionär bereits den Verkauf seiner Anteile zugesichert hat. Eine spätere Komplettübernahme ist damit aber überhaupt nicht ausgeschlossen. Wenn man so will, dreht MFE langsam an den Schrauben und erreicht so eine Übernahme in Scheibchen. Ähnlich lief es auch bei Mediaset Spanien.
Grundsätzlich stimmt die Strategie
Handeln mussten die Italiener aber. Denn sie haben mit ihrem Investment auf dem Papier bereits viel Geld verloren, weil sie zu deutlich höheren Bewertungen bei P7S1 eingestiegen waren. Zumal sie ihre eigenen Aktionäre mit ihrem Plan eines europäischen Medienkonzerns bei der Stange halten müssen. Bereits seit Jahren drängen die Italiener darauf, dass P7S1 seine medienfernen Beteiligungen wie das Vergleichsportal Verivox, die Dating-Plattformen der Parship Group und den Parfumhändler Flaconi verkauft. Zumindest bei Verivox ist jetzt ein Vertrag unterschrieben.
Fragt sich aber, wie MFE das Kerngeschäft, also die Fernsehsender und das Streamingangebot Joyn, wirtschaftlich auf Vordermann bringen will. Denn daran haben bereits diverse Vorstände von P7S1 gearbeitet, ohne durchschlagenden Erfolg. Fakt ist, dass das werbefinanzierte Fernsehgeschäft sich derzeit in schwerem Fahrwasser befindet.
Im Umfeld von MFE heißt es schon länger, der Vorstand in München, derzeit der Niederländer Bert Habets, müsse schneller und entschiedener handeln. Was P7S1 bisher vorzuweisen habe, reiche nicht. Grundsätzlich stimmt die Strategie allerdings durchaus: Volle Konzentration auf Unterhaltung und das Streamingportal Joyn, die klassischen Sender so gut wie möglich positionieren und den belastenden Rest verkaufen.
MFE-Chef Pier Silvio Berlusconi äußerte sich entsprechend in einer Mitteilung. Man wolle „konkret und konstruktiv“ mit ProSieben zusammenarbeiten und einen Mehrwert schaffen, „bevor es zu spät ist“. Berlusconi hat freilich ein Interesse, sowohl die bisherigen Leistungen des Vorstands als auch den Ausblick schwärzer zu malen, als es angebracht ist. Wobei er nicht zu Unrecht feststellt: „Seit Jahren erachten viele das kommerzielle Fernsehen aufgrund der Fragmentierung des Publikums, der zunehmenden Digitalisierung und des unaufhaltsamen Aufstiegs der großen Internetkonzerne als veraltet.“
MFE, so Berlusconi, habe „als einer der wenigen Sender in Europa … tatsächlich Wert geschaffen“. Und zwar nicht mit Investments in andere Geschäftsfelder, sondern mit dem Fokus aufs Fernsehen.
Vor ein paar Jahren hätte die Botschaft, dass ein ausländischer Konzern, zudem auch noch die Berlusconis, nach einer deutschen Fernsehgruppe greift, für Hitzewallungen gesorgt, auch bei Politikern. Jetzt, und da hat Berlusconi einen Punkt, geht es darum, Medienunternehmen so resilient aufzustellen, dass sie gegen Streaminganbieter und Tech-Giganten eine Chance haben.
Christian Meier ist WELT-Medienredakteur und hat schon sehr viele Vorstände bei ProSiebenSat.1 kommen und gehen sehen.
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