Madrid ist in Mode. Die spanische Hauptstadt hat ihren Status im globalen Kunsthandel kontinuierlich steigern können. Gerade erst kratzte die Messe Arco für Gegenwartskunst erstmals seit der Covid-19-Pandemie wieder an der 100.000-Besucher-Schwelle, was auch – aber nicht allein – im Kontext des robusten Wirtschaftswachstums Spaniens von 3,2 Prozent im Jahr 2024 zu sehen ist.

Die Kunstmesse hat ihren fixen Termin Anfang März, vor oder parallel zur Maastrichter Tefaf (die allerdings über eine Woche läuft) und nach der Zona Maco in Mexiko-Stadt. Dass internationale Sammler sich diesen Termin im Kalender eintragen, ist Arco-Direktorin Maribel López zu verdanken. Sie knüpfte ab 2019 an die mit ihrem Vorgänger Carlos Urroz gemeinsam eingeleitete und umgesetzte Wende an, die nun mehr und mehr Erfolg zeitigt.

Vom ehemaligen „Volksfest“-Charakter der „Feria“ mit knapp 260 geladenen Galerien und weit über 140.000 Besuchern fokussierte sie auf Markt- und Szenekenner, ohne das breite Publikum zu vergrätzen. 214 Galerien aus 36 Staaten (knapp über López’ selbstauferlegten Grenzwert von 200 Ausstellern) fanden in den Messehallen Platz.

„Madrid summt und brummt“, sagte sie im Gespräch mit WELT. Eine kapitalstarke Oberschicht aus Zentral- und Südamerika hat sich in der längst paniberischen Metropole niedergelassen oder einen Wohnsitz erworben, darunter sind viele etablierte, aber auch junge Kunstkäufer. Knapp 350 eingeladene internationale sowie – und das war in diesem Jahr neu – weitere 130 in Madrid wohnhafte Sammler überwiegend aus Lateinamerika sind der Trumpf der Arco. Was sich prompt in erfolgreich getätigten Transaktionen niederschlug. Sichtbar mehr Käufe als in den Jahren zuvor wurden an den Messeständen abgewickelt, Interessierte standen zeitweise Schlange.

Neben der auf zehn Einzelpositionen aus Lateinamerika fokussierten Sektion „Perfiles“ (Profile), die 2022 lanciert wurde, lag der diesjährige Schwerpunkt auf der Amazonas-Region: „Wametisé“ hieß die von Denilson Baniwa und María Wills kuratierte Abteilung zum „Amazofuturismus“. Das ursprüngliche Konzept der Arco, alljährlich ein „Gastland oder einen Nationalstaat vorzustellen“, sei ohnehin überholt, so López. „Weil Grenzen trennen, setzen wir auf Gewässer, die vereinen und den Austausch von Kultur ermöglichen: wie den Mittelmeerraum oder eben die Karibik im Vorjahr.“

Indigene Weltbilder vom Oberlauf des Rio Negro und universelle, spirituelle und kosmologische Konzepte, wie die „große Schlange des Lebens“ im Wametisé-Mythos von der Schöpfung der Welt, aber auch aktuelle soziale Probleme, die Zerstörung der Umwelt und deren Schutz waren die prägenden Themen. Bei der künstlerischen Umsetzung fanden sich entsprechend lokale Materialien, Textilien, Hölzer und Pigmente. Neben viel Fotografie sah man Malerei und Plastik, etwa die aus Leiterplatten gebauten, Space-Invaders ähnelnden Wesen von Lina Mazenett und David Quiroga aus der Serie „Motherboard/Mother Earth“ bei der Galerie Instituto de Visión (New York, Bogotá).

Die Messe nahm Abschied von Helga de Alvear

Der Doyenne der Arco wie der gesamten Madrider Kunstwelt, Helga de Alvear, war es nicht mehr möglich, die diesjährige Messe zu erleben. Vom Krankenbett habe sie noch darauf hingearbeitet, hieß es, aber einen Monat vor der Eröffnung verstarb die Kunsthändlerin und bedeutende Sammlerin im Alter von 88 Jahren. An ihrem Stand zollte man der 1936 im Hunsrück geborenen de Alvear mit langem Applaus Respekt und Anerkennung. Und setzte „ihrem Wunsch entsprechend einen farben- und lebensfrohen Akzent“, wie es Alberto Gallardo González de Castejón, der künstlerische Leiter der Galerie, unterstrich.

Die Werke von Man Ray bis Heimo Zobernig waren von de Alvear in den vergangenen Jahren auf der Arco erworben worden und hatten eines gemeinsam: Sie standen allesamt nicht zum Verkauf, sondern bleiben Teil der umfassenden Sammlung ihres privat gegründeten Museums in Cáceres in der Extremadura.

„Helga de Alvear gehörte zum Rückgrat der Messe und war Teil der Gegenwartskunstgeschichte von Madrid und ganz Spanien“, sagte Gallardo González sichtbar und spürbar traurig. In diesem Jahr wäre es ihre 30. Teilnahme in Folge gewesen. Bevor die Galerie in der Calle del Doctor Fourquet am 26. April 2025 für immer schließt, sind dort die abstrakt-geometrischen Gemälde des Portugiesen José Pedro Croft unter dem Titel „Duplo/Dobles“ zu sehen.

Der Galerist Max Hetzler (Berlin, Paris, London) war zum zweiten Jahr in Folge auf der Arco. Er zeigte „A House Full of Music, II“ von Edmund de Waal, ein sinnlicher Setzkasten mit Porzellan und Silber- und Aluminium-Bögen als Hingucker, ähnliche Werke sah man bei der Galerie Charim (Wien), die zur Messe zurückkehrte. Vera Cortês aus Lissabon ist eine Arco-Veteranin. Die Galeristin habe eine „starke Messe-Teilnahme“ erlebt, „mit vielen Verkäufen“. Sie präsentierte unter anderem die filigranen, Schwingungen und Energien der Umgebung und der Erde ausgesetzten Edelmetallarbeiten der Bildhauerin Joana Escoval. Zwei „fanden Eingang in portugiesische und spanische Privatsammlungen“, so Cortês.

Ein aktuelles Großgemälde von Katharina Grosse hatte wie gewohnt Rosemarie Schwarzwälder im Angebot („Untitled“ von 2024, 300.000 Euro). Die Wiener Galeristin, Arco-Stammgast seit vielen Jahren, zeigte aber auch die 1936 in Mailand geborene Amalia del Ponte und ihre Plexiglas-Quader „Tropi“ (1965). Sie sei „eine lange Zeit nicht ausreichend beachtete Frauenposition der Kunstgeschichte und des Kunstmarktes“, betonte Schwarzwälder und erwähnte noch, sie käme außerhalb der Messe leider viel zu selten nach Madrid.

Madrid, die wachsende Kunstmetropole

Also Schauplatzwechsel: Im Arbeiterviertel Usera im Süden Madrids haben die Künstler Marco Castillo vom kubanischen Kollektiv Los Carpinteros und Claribel Calderius in Lagerhallen ihre Studios eingerichtet. Ebenso wie Fernando Sánchez Castillo, der damit bekannt wurde, dass er einst Francos Yacht „Azor“ kaufte und zu einer 46-teiligen Kunstinstallation verarbeitete („Azor: Síndrome de Guernica“, im Museum Helga de Alvear), und seine Partnerin, die Performance-Künstlerin und Malerin Cristina Lucas. Ins selbe Gebäude zog es nun auch zwei der wichtigsten privaten Kunstsammlungen, die der ebenso aus Kuba gebürtigen Ella Fontanals-Cisneros und die des argentinischen Sammlerpaars Juan und Patricia Vergez.

Seit Jahren lockt die spanische Hauptstadt Künstler, aber auch internationale Galerien an, die hier wie Albarrán Bourdais aus Paris eine neue Bleibe fanden oder wie Carlier Gebauer aus Berlin eine Dependance eröffneten. „Madrid erlebt einen ganz besonderen Moment in diesen Jahren“, sagte auch Marco Castillo auf seiner privaten Studio-Fiesta bei kubanischer „Reparto“-Reggaeton-Musik: „Alle wollen hierhin.“

Vermögende aus Mittel- und Südamerika zieht es vor allem ins Barrio Salamanca um die mondäne Calle Serrano, die längst „Little Caracas“ genannt wird. Das sorgt für Cashflow am Immobilien- und Kunstmarkt. Madrid sei „das neue Miami“, hieß es schon auf der Messe, etwa aus dem Mund von Pablo Pedronzo Dutra (Galería de las Misiones, Montevideo).

Vergleiche hinken, und solche wie dieser umso mehr, wenngleich der „Economist“ im Februar 2024 über den an Momentum gewinnenden Wettstreit der beiden Kunstmetropolen um das Großkapital Lateinamerikas eine ausführliche Analyse publizierte. Die konservative Regionalregierung der Hauptstadtregion Madrid jedenfalls sorgt dafür, dass dieser kaufkräftig-migrantischen Oberschicht steuerlich massiv entgegengekommen wird. Vermögenssteuern, wie auch die seit 2024 eingenommene „Solidarabgabe für große Vermögen“ vom links regierten spanischen Staat, werden in der Autonomen Gemeinschaft Madrid zur Gänze refundiert. Ihre Präsidentin Isabel Díaz Ayuso wurde auch schon „spanischer Trump“ genannt.

The Real Donald fand sich mit seinen Konsorten Musk und Co. auf Teller gedruckt im Gastro-Geschirrspüler von Eugenio Merino („White Wash“) bei adn Galeria (Barcelona) wieder. Üblich für einen Künstler, der Medienpräsenz mit alljährlichen Arco-Aufregerchen erntet – nach einem lebensechten Franco im Kühlschrank oder der fast sechs Meter großen „Ninot“-Plastik von Felipe VI., die nach dem Verkauf verbrannt werden musste. Der spanische König kam trotzdem wieder zur Eröffnung.

Die Politspülmaschine ging für 22.000 Euro in die Berliner „Spreegold Collection“. Mehr regt den spanischen Kunstmarkt allerdings die Mehrwertsteuer von 21 Prozent auf. Die Galerien auf der Arco protestierten dagegen mit einem kurzzeitigen Licht-Ausschalten. Sie fordern eine Reduktion auf zehn Prozent, die „bestenfalls EU-weit umgesetzt“ werde, ergänzte Direktorin López.

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