Der italienische Komponist Gaetano Donizetti (1797 bis 1848), gern als konfuser Vielschreiber abgetan, hat eine Tudor-Trilogie komponiert, freilich ohne es darauf angelegt zu haben. Historische Opernthemen wie „Anna Bolena“ (1830), „Maria Stuarda“ (1835) oder „Roberto Devereux“ (1837) – über Elizabeth I. und ihren letzten Liebhaber – lagen einfach in der Romantik-Luft, befeuert auch durch die nebeligen Schottland-Romane Walter Scotts.
Donizetti selbst hat diese drei eher zufällig entstandenen Primadonnen-Werke nie als Einheit begriffen – es gibt sogar noch ein früheres Elizabeth-Stück, „ll castello di Kenilworth“ von 1829. Trotzdem werden diese Opern in jünger Zeit gern als Herausforderung für dieselbe Starsängerin zusammengefasst, etwa in Zürich, Genf oder Amsterdam; in Brüssel hat man sie unlängst sogar ausgeweidet, zur Gänze auf Elizabeth fokussiert und für zwei Abende als „Bastarda“ neu zusammenmontiert.
An der Hamburgischen Staatsoper hingegen verfährt die (nach Schostakowitschs „Nase“ im Jahr 2019) dort zum zweiten Mal gastierende Schauspielhaus-Intendantin Karin Beier ganz traditionell: Sie inszeniert einzig das Mittelstück dieses Belcanto-Bergs – die „Stuarda“. Das aber selbstredend ganz und gar nicht klassisch. Dafür mit viel theatergeübter Thriller-Spannung als Hardcore-Regietheater mit großer Belcanto-Affinität. Was dank einer dafür perfekten Besetzung erstaunlich gut aufgeht.
Zwei eingesperrte Königinnen
Anti-Stimmung mag zunächst beim Bühnenbild von Amber Vandenhoeck aufkommen. Das zeigt schmucklose Mauern aus grauen Industriesteinen, vorn steht ein brauner Schreibtisch. Dahinter dreht sich ein weiteres Mauerngeviert mit Stahltüren und Treppen, das in seiner leeren Mitte eine Art überdimensionierte Sanduhr zeigt: einen glänzend großen Tropfen, aus dem Zeitkörner rieseln.
Ein Gefängnis, das frösteln macht, gewärmt nur von der leise anschwellenden Musik, die Antonio Foglinani könnerisch aus dem Orchestergraben aufsteigen lässt. Sie tröstet, lullt ein, gibt Zuversicht – durch flexible Rhythmik, weiche Schmiegsamkeit, präzise konturierte Melodiebögen, eine kontraststarke, nie schroffe Dynamik.
Gleich zwei Königinnen sind hier eingesperrt: die England regierende anglikanische Elizabeth I. und die abgesetzte Nichte (sie nennen sich Cousinen), die katholische Maria Stuart von Schottland. Die haben sich in Wirklichkeit nie getroffen, das hat nur Schiller in seinem Schauspiel erfunden, und Donizetti hat es begeistert übernommen. Denn was kann es auf der Opernbühne Schöneres geben, als wenn zum Höhepunkt des Aufeinandertreffens die tief beleidigte Maria der anderen Primadonna ein gurgeliges „Bastard!“ entgegenschleudert? Chorentsetzen! Finalschlussakkord! Pause.
In Hamburg spielen zwei gleichwertige Sängerinnen diese Opernklimax famos aus. Die stets von einer durchscheinenden Tragik umflorte Ermonela Jaho ist die unterdrückte Maria in Schwarz und weiß genau, wie sie sich als Opfer in Szene zu setzen hat. Und während sie intrigiert und ihren für die Story überflüssigen, aber für die Belcanto-Oper unerlässlichen Tenorliebhaber Roberto (Long Long) bei Laune hält, ist alles Kalkül, jede Pose Berechnung. Die Jaho vermag, uns einzuwickeln, uns mitfühlen und -leiden zu lassen.
Als Eisberg in weißrote Gelacktem (die unkleidsamen Kostüme von Eva Dessecker stellen die gegnerischen Frauen noch stärker aus) präsentiert sich die unsympathische Elisabetta der pastosen, auch hart klingenden Barno Ismatullaeva. Bei ihr müsste man tief unter den Panzer aus Majestätsallüre und Machtbewusstsein dringen, um letzte Reste von Weiblichkeit zu finden.
Tränenketten in Rot
Karin Beier stellt die bisweilen abstrakte, statische, durch Wiederholungen zwecks Intensivierung geprägte Architektur des Belcanto bewusst aus, sie platziert auch die Protagonisten zum Singen an der Rampe. Doch sie bindet sie stets ein in komplexe Arrangements mit dem von oben durch Sichtfenster oder von der Seite beobachtenden Chor, den gleichzeitig anwesenden Königinnen oder ihre Doubles, die jeweils zum Aktauftakt sich auch sprechend äußern dürfen.
Da zeigt man nackte Haut, schält sich aus der Verpuppung, in Video-Großaufnahme wäscht man sich die Hände in Unschuld, mit Blut wird ein Kopf übergossen, der noch gar nicht abgetrennt ist. Bewusst auf Distanz gehalten werden die beiden anderen singenden Höflinge, der diplomatische Talbot (Alexander Roslavents) und der polternde Cecil (Gezim Myshketa).
Und am Ende darf sich die selbst kopfunter von ihren Vasallen getragene Maria zu gehauchten Spitzentönen und letzten Tränenketten in Rot, mit schwarzem Kreuz und geschorenem Schädel noch einmal fulminant auf dem Weg zum Schafott als überlegene Propaganda-Figur für die Nachwelt in Szene setzen. Auch Sterben ist in dieser ruchlosen Renaissance-Welt ein gesetzter Akt, der den menschlichen Körper einer Monarchin von ihrem politischen abtrennt. In dieser Hamburger „Maria Stuarda“ erfüllt sich solches musikalisch wie szenisch mustergültig.
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