Mitten im Berlinale-Trubel im Februar nahm sich Mala Emde die Zeit, um über ihren neuen Kinofilm „Köln 75“ zu sprechen. Die Schauspielerin verkörpert darin die Jugendliche Vera Brandes, die vor fünfzig Jahren den berühmten Jazz-Pianisten Keith Jarrett für ein legendäres Konzert nach Köln holte.

WELT AM SONNTAG: „Köln 75“ ist kein gewöhnliches Musiker-Biopic wie etwa „A Complete Unknown“ über Bob Dylan, sondern sehr experimentell. Der Pianist Keith Jarrett etwa kommt nur am Rande vor.

Mala Emde: Es war von Anfang an geplant, die Geschichte von Vera Brandes zu erzählen, die das Köln-Konzert organisierte. Das war, was unseren Regisseur Ido Fluk interessiert hat. Er wollte ihre Geschichte erzählen, weil sie 16 war, als sie ins Musikgeschäft eintrat. Das ist ja schon erstaunlich, wenn man sich vorstellt, dass es in den 1970ern passiert ist. Wir als junge Frauen erleben es ja auch heute noch, dass es manchmal nicht einfach ist, sich durchzusetzen. Ich glaube, dass das vor 50 Jahren noch mal schwieriger war.

WAMS: Wie sind Sie damit umgegangen, dass Keith Jarrett die Rechte an seiner Musik nicht freigegeben hat?

Emde: Keith Jarrett ist ein wunderbarer Künstler. Ein Film über ihn wäre ein anderer Film. Den kann es ja auch noch geben. Aber er möchte, dass die Musik für sich steht. Unser Film erzählt die Geschichte, wie dieses legendäre Konzert stattfand, obwohl das Klavier kaputt war. Das muss man sich mal vorstellen. Ich glaube, dadurch ist etwas ganz Besonderes passiert, was niemand erklären kann. Der Theaterregisseur Peter Brook hat mal gesagt: „Wenn in der Kunst etwas richtig läuft, dann läuft ein Engel durch den Raum.“ Und das ist bei dem Kölner Konzert passiert. Ein kaputtes Klavier kann manchmal eine Chance sein, weil Chaos entsteht und man eine neue Lösung finden muss. Man macht also nicht nur das, was man vorbereitet hat, sondern es passiert etwas ganz Unverbrauchtes. So etwas zu finden, war unsere Aufgabe – durch die Beschränkung, dass Jarrett nicht mitmachen wollte. Dieser Film ist selbst Musik. Ich habe das Drehbuch aufgeschlagen – und habe Musik gehört.

WAMS: Der Film beginnt damit, dass die erwachsene Vera Brandes von ihrem Vater zu hören bekommt, was für eine große Enttäuschung sie sei, obwohl sie doch Ärztin, Anwältin oder Diplomatin hätte werden können. Wussten Sie mit 16, was Sie werden wollen?

Emde: Ich wusste tatsächlich schon super früh, dass ich spielen möchte. Schon als ich neun Jahre alt war, habe ich das gesagt. Dann haben die Leute immer gesagt: „Ja, du kannst ja irgendwann Schauspielerin werden.“ Und ich habe geantwortet: „Nee, nee, ich möchte nichts werden. Ich möchte jetzt spielen.“ Das ist etwas, was Vera und mich verbindet. Dass wir irgendwie rausgefunden haben, was wir lieben, und zufällig war es bei uns beiden etwas im kreativen Bereich. Natürlich haben mir alle gesagt: „Das geht nicht. Das ist aber schwierig. Bist du dir sicher? Traust du dir das zu?“ Aber ich habe einfach gesagt: „Ich mache das. Wenn ihr ‚nein‘ sagt, dann sage ich: ‚Jetzt erst recht.‘“

WAMS: Hat es gleich funktioniert?

Emde: Es ist hart. Du fällst auf die Schnauze. Das tut weh. Du stehst wieder auf, fällst nochmal hin. Du stolperst über deine eigenen Füße, stolperst über andere Menschen. Du kriegst Angst, dass das nie was wird. Aber dann ist da manchmal diese Stimme – ich weiß, das klingt ein bisschen pathetisch –, die sagt: Ich muss das machen. Es fühlt sich fast wie eine Verantwortung an. Ich glaube, das hat Vera Brandes damals auch gespürt, als sie Keith Jarrett in Berlin hat spielen hören, in einem ganz kleinen Konzert. Da wusste sie, dass diese Musik, die er macht, etwas Besonderes ist, und sie der Welt diesen Künstler zeigen muss.

WAMS: Sie haben viele verschiedene Rollen gespielt: Widerstandskämpferin, Nazi, Anne Frank. Gibt es eine Rolle, die Sie nicht spielen würden?

Emde: Grundsätzlich: nein. Bei furchtbaren Figuren wie einer Serienmörderin oder einer Terroristin denke ich erst mal, dass ich sie genau deswegen spielen würde. Denn wenn furchtbare Dinge passieren, stoßen wir als Menschen an eine Grenze unseres Verständnisses. Dann ist es so einfach zu sagen: Das war ein schlechter Mensch oder das ist das Böse, das müssen wir wegschieben. Wenn man denkt, dass man einfache Lösungen findet, ist man immer auf dem falschen Weg. Ich bin sehr getrieben von meinem Verlangen, die Empathie an ihre Grenzen zu bringen. Bisher bin ich nicht an Grenzen gestoßen, und deswegen muss ich weitermachen. Aber Rollen, die ich nicht spielen würde, wären Menschen, die vereinfacht sind. Frauen wurden in der Filmgeschichte zum Beispiel oft auf ihre Schönheit reduziert. Das möchte ich nicht. Das langweilt mich.

WAMS: In „Köln 75“ kommen einige politische Sequenzen vor, etwa eine Demo für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Beschäftigen politische Fragen Sie in Ihrem Alltag?

Emde: Ich glaube, jeder Mensch hat die Verantwortung, Gesicht zu zeigen und einen steten Diskurs in sich zu tragen. Zu sagen, was man richtig oder falsch findet, ist vielleicht der falsche Weg. Aber zu schauen, was die eigenen Werte sind und was ihnen entspricht. Ich versuche, diesen Diskurs in mir zu führen und Ambivalenzen auszuhalten. Die Wahrheit zu finden, ist ein Prozess. Das Leben steht nie still, das heißt, man muss permanent im Diskurs bleiben. Es gibt nie eine richtige Seite oder eine Antwort. Es gibt immer nur die Bewegung. Deshalb ist Film für mich auch das richtige Medium, weil es um Bewegtbilder geht. Im besten Fall schaut man „Köln 75“ und geht danach raus und will selbst etwas in Bewegung bringen oder einfach selbst Spaß haben. Wir haben jetzt über so viel Ernstes und Politisches geredet. Aber der Film sagt ja auch einfach: Arbeit macht Spaß, und Feierabend macht dreifach Spaß.

WAMS: Waren Sie vorher schon Keith-Jarrett- oder Jazz-Fan?

Emde: Ich finde es ganz wichtig zu sagen, dass unser Film kein Jazz-Film ist. Es geht um die Liebe zur Musik und darum, seinen eigenen Weg zu finden. Der Film will nicht zeigen, dass Jazz cool ist, sondern es geht um das Gefühl, das wir alle haben, wenn wir Musik hören und sich auf einmal das Leben anders anfühlt. Es gibt Musik, die macht uns wach. Das ist so, als würde man durchs Leben laufen, und plötzlich gibt es den Moment, wo man hochschaut und die Vögel singen hört.

WAMS: Welches Verhältnis haben Sie zur Musik? Was hören Sie gern?

Emde: Ich bin immer offen für Musiktipps. Ich würde mich nie einem Genre zuordnen und finde es immer beeindruckend, wenn Leute das können. Manchmal ist es unbeschreiblich, warum sich manche von Taylor Swift angesprochen fühlen und andere von Kate Tempest.

WAMS: Gehen Sie viel auf Konzerte?

Emde: Ja, aber viel zu selten. Ich habe ja keinen Beruf, bei dem man weiß, wann man Urlaub hat. Es ändert sich immer alles so schnell. Irgendwann habe ich mir mal Anfang des Jahres sechs Konzertkarten gekauft und war auf einem. Das war so frustrierend, dass ich gesagt habe, ich muss das spontan machen.

WAMS: Gibt es ein Konzert, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Emde: Witzigerweise war das Bob Dylan. Ich bin eigentlich gar nicht so ein Fan-Girl. Meine Wand war zwar voller Zeichnungen und Bilder, aber da hingen keine Poster. Ich war skeptisch gegenüber Vorbildern, fand das komisch. Aber Bob Dylan hat es an meine Wand geschafft. Dann bin ich mit 15 oder 16 Jahren auf ein Konzert gegangen, und er kam drei Stunden zu spät, hat eine Viertelstunde gesungen und ist dann gegangen und hat nicht mal ins Publikum geguckt. Das war so enttäuschend. Da bin ich immer noch sauer.

WAMS: In „Köln 75“ kommt auch eine Interviewszene mit Ihnen als Vera Brandes vor.

Emde: Meine Lieblingsszene.

WAMS: Darin wird sie gefragt, was sie vom Leben will. Sie antwortet: „Sterben und dann unsterblich werden.“ Wäre das auch Ihre Antwort?

Emde: Das Sterben ist, glaube ich, ein interessanter Prozess. Aber der Tod interessiert mich gar nicht. Der ist einfach da. Das passiert uns allen. Vielleicht kann ich das also auch sagen: „Sterben und dann unsterblich werden.“ Warum nicht? Jean-Luc Godard hat gesagt: „Unsterblich werden und dann sterben.“ Ja, nee, das wäre nicht gut. Deswegen bin ich eher Team Vera.

WAMS: Wie war die Premiere?

Emde: Magisch. Es war eine Ehre, dass der Film auf der Berlinale gelaufen ist. Beim Abspann-Song hat das Publikum selbst angefangen, rhythmisch zu klatschen. Der Applaus war also eine Jam-Session des Publikums. Das heißt, weil der Film so Lust darauf macht, haben 1300 Leute auf einmal angefangen, Musik mit ihren Händen zu machen. So was ist mir noch nie passiert.

Mala Emde wurde 1996 in Frankfurt/Main geboren und lebt heute in Berlin. An der Berliner Hochschule Ernst Busch studierte sie Schauspiel. Für ihre Rolle der Anne Frank in dem Doku-Drama „Meine Tochter Anne Frank“ erhielt sie 2015 den Nachwuchsförderpreis des Bayerischen Fernsehpreises. Emde hat im „Tatort“, in den Serien „Charité“ und „Oh Hell“ sowie den Kinofilmen „Und morgen die ganze Welt“ und „Aus meiner Haut“ mitgespielt. „Köln 75“ läuft ab dem 13. März im Kino.

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