Aufhören, wenn es am schönsten ist? Das Beste kommt zum Schluss? Nach 44 Fällen in über 22 Jahren verabschiedete sich Kommissar Borowski mit dem Rätsel um das "Haupt der Medusa" in die Rente - ein Fall für die Geschichtsbücher.
Dass die Nummer mit dem Plastikfass schiefgeht, sieht man schon im Ansatz. Robert stellt sich beim Entladen seines Kombis so unfassbar dämlich an, dass das schwere Teil einfach umkippen und auslaufen muss. Wäre ja alles halb so wild, wenn sich denn darin nicht ausgerechnet die von der Säure nicht vollends aufgelösten Körperteile seiner von ihm gemeuchelten Mutter befunden hätten. So glitschen Hautfetzen und weißliches Gebein über den Pier und machen das schöne Kieler Wasserkanten-Panorama zunichte. Und was daheim in Roberts Aquarium still vor sich hindümpelt, ist in Sachen Unappetitlichkeit ebenfalls eine ganz eigene Güteklasse.
"Borowski und das Haupt der Medusa", mit diesem Fall hieß es Abschiednehmen vom Kieler Kommissar, dem mal mürrischen, dann empathischen, dem zuweilen gedankenverlorenen, an anderer Stelle präzise analysierenden Klaus Borowski, gespielt von Axel Milberg. Zum Ausstand ein Mutter-Thema, beim Einstand am 30. November 2003 hatten "Väter" die Hauptrolle gespielt, darunter auch Borowski selbst mit Filmtochter Carla (Neelam Schlemminger), die man in den folgenden Jahren nicht mehr allzu oft zu Gesicht bekommen sollte.
Um einiges öfter dagegen die zur Premiere ebenfalls ihren Dienst antretende Psychologin Frieda Jung (Maren Eggert), von Borowski leidenschaftlich umschwärmt und 2010 ausgestiegen. Zuletzt hatte sie sich 2015 in "Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes" blicken lassen, auch zum Farewell ließ sie sich nicht nehmen, noch einmal vorbeizuhuschen.
22 Jahre und 44 Fälle
44 Fälle sind es geworden, über 22 Jahre lang versah Borowski seinen Dienst an der Kieler Förde. Mal verschlug es ihn auf die (fiktive) Nordseeinsel Suunholt, 2010 tanzte er den "Tango für Borowski" in Finnland. Mal bekam er es mit den "Kindern von Gaarden" zu tun, dann wieder schaute er melancholisch auf das "ewige Meer" oder flanierte durch Wacken. Anfangs noch konventionell betitelt, hoben die "Tatort"-Macher ihn, den Protagonisten, bald in die Überschrift: Borowski und das Mädchen im Moor, die heile Welt, der coole Hund. Die Frage vom reinen Geschmack, das dunkle Netz und - natürlich - der stille Gast. So spektakulär still, dass er ganz besonders lautstark von sich reden machte.
Dreimal gab Lars Eidinger den von Sascha Arango ersonnenen Psychopathen, eine der schillerndsten Figuren überhaupt in der Geschichte des "Tatorts". Es passte, dass Arango nun auch für die Abschiedsfolge das Script lieferte und dabei noch einmal alle Register zog. So fulminant, dass man sich schon allein für ein Sequel, ein Prequel, was auch immer, wünschen würde, dass Borowski noch einmal wiederkommen möge.
August Diehl als nägelkauender Psychopath, als IT-Freak und Muttersöhnchen, als morbider Aquarist und Stümper-Koch, als Büro-Depp mit Pappnase, dazu Corinna Kirchhoff als seine Mutter, in passiv-aggressiver Eleganz erstarrt, immer das letzte Wort, nie ein Lob, nur Hass, Hass, Hass - eine Versuchsanordnung im Knotenpunkt aus Strunk'scher Gnadenlosigkeit, Hitchcocks "Psycho", eingekleidet in Gelsenkirchener Barock und vergilbte Braten-Rezepte - ein cineastischer Augenschmaus. Und das unwiderufliche Ende einer, so muss man es wohl sagen, erfüllten Laufbahn. "Es war eine enorme Freude, mit jemandem wie Axel Milberg eine solch lange Zeit in einer Reihe so stabil zusammenzuarbeiten und dabei so viele großartige Menschen mitzunehmen", erzählt Kerstin Ramcke, von Beginn an mit Nordfilm Produzentin der Reihe. "Das ist ein Geschenk: Egal, wen wir für die kreativen Gewerke anfragten, alle haben immer sofort zugesagt. Das hat ganz viel auch mit der Person Axel Milberg zu tun. Kieler 'Tatort' - das war und ist für alle immer etwas Besonderes. Dafür kann ich mich nur bedanken."
"Der beste Film kommt noch"
Und was sagt der Scheidende selbst, wird Axel Milberg beim Lebewohl vielleicht etwas melancholisch oder gar traurig? "Ich habe eine sehr eigene Beziehung zur vergehenden Zeit. Sie vergeht merkwürdigerweise für mich nicht. Irgendwo unten im Keller läuft ratternd eine Uhr in dem Gebäude meines Lebens, aber da steige ich ja nie hinunter. Und hier oben ist es licht und hell und lebendig", so der 68-jährige gebürtige Kieler. "Ich bin weder erschöpft noch schaue ich auf ein reiches Leben zurück, sondern das Nächste fesselt und interessiert mich genauso. Und tatsächlich sage ich vollen Ernstes, der beste Film kommt noch, der nächste Film ist es."
Der Sendetermin des nächsten Kieler "Tatorts" steht noch nicht fest, am kommenden Sonntag, den 23. März um 20.15 Uhr, geht es erst einmal im Schwarzwald weiter. Franziska Tobler und Friedemann Berg ermitteln im Fall "Die große Angst".
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