Mit seiner charakteristischen Fellmütze auf dem Kopf steht Shaboozey an einem Sonntagmorgen in seinem Berliner Hotelzimmer, Blick auf die sonnenbeschienene Spree gerichtet. Der 29-jährige Künstler aus Virginia hat mit seinem einzigartigen Blend aus Country, Americana und Hip-Hop in den letzten Monaten Wellen geschlagen und mit seinem Song „A Bar Song (Tipsy)“ und seiner Zusammenarbeit mit Pop-Königin Beyoncé Rekorde geknackt.
WELT: 36 Wochen lang steht „A Bar Song (Tipsy)“ schon an der Spitze der Country-Charts – damit haben Sie in der Chartgeschichte als Solo-Künstler den Rekord gebrochen. Warum hat dieser Song weltweit solch einen Nerv getroffen?
Shaboozey: Für mich entsprang die Idee für den Song aus J-Kwons „Tipsy“, den ich zum ersten Mal hörte, als ich sechs Jahre alt war. Und seitdem spielt dieser Song in meinem Kopf rauf und runter – ich konnte ihm nicht entfliehen. Bei Zuhörern findet er deshalb solche Resonanz, weil er so viele Elemente verbindet, die alle kennen und nachfühlen: ein guter Bar-Abend, ein guter Whiskey. Es ist eine wahnsinnige, universale Energie, die jeder spüren kann.
WELT: Hat es Sie überrascht, dass der Song auch in Europa so erfolgreich war?
Shaboozey: Ehrlich gesagt, nein – man kennt Europäer doch als große Trinker (lacht). Europäer feiern diese Lebenskultur und haben Jahrzehnte alte Kneipen. Die Barkultur ist eine langjährige Tradition, hinter die sich jeder stellen kann. Gleichzeitig gehören auch musikalische Elemente des Songs – der Folk-Klang und die Geige – einer europäischen Tradition an.
WELT: Sie sind schon länger als Künstler etabliert. Aber „Tipsy“, gepaart mit Ihrer Beteiligung an Beyoncés Album „Cowboy Carter“, hat Sie in das internationale Rampenlicht katapultiert. Wie geht man mit solch plötzlichem Erfolg um?
Shaboozey: Ich bin nach Los Angeles gezogen, als ich 19 Jahre alt war. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass ich heraussteche aus der Masse, dass ich zur Kunst und zum kreativen Ausdruck berufen bin. Ich habe zehn Jahre lang hart dafür gearbeitet, mich als Künstler zu etablieren – Songs geschrieben, zahllose Shows gespielt, mit vielen Künstlern zusammengearbeitet. In diesen künstlerischen Räumen konnte ich lernen und wachsen, was mich auf große Erfolge vorbereitet hat. All diese Erfahrungen haben mich in der Welt der Kunst erwachsen werden lassen, mir eine geerdete Perspektive gegeben. Ich war bereit für diesen Moment.
WELT: Mehr als viele Genres bewegt sich Country-Musik auf ideologischem Grund – es gilt als die Blaupause amerikanischen Lebens und ist eng verbunden mit amerikanischer Identität. Wenn man Country-Musik als ein Spiegel amerikanischer Wertevorstellungen betrachtet, wo steht Amerika jetzt in einer Zeit, wo Country ein Revival erlebt?
Shaboozey: Amerikaner suchen nach Respekt und Restauration. Ich habe das Gefühl, Amerika hat seinen Seelenfrieden verloren. Mein Vater kam in den frühen Achtzigern in die USA, und er hatte die Chance, hart zu arbeiten, sich damit einen Lebensunterhalt zu verdienen und seinen Weg zu finden. Diese Grundvoraussetzung ist verloren gegangen, die Wirtschaft außer Kontrolle: Lebensmittel werden immer teuer, Wohnraum kaum bezahlbar. Die Menschen fühlen eine Last auf ihren Schultern, können keinen Job finden oder sich kein Haus mehr leisten. Die Menschen wollen diese Kontrolle zurück. Genau da setzt Country-Musik an. Sie gibt den Menschen ein bisschen Seelenfrieden zurück.
WELT: Ihre Musik ist aber nicht bloß Country, sondern eine Fusion verschiedener Sounds. Hip-Hop und Trap spielen eine wichtige Rolle. Wie gehen Country, die Musik der amerikanischen Tradition, und Hip-Hop, die Musik des Underdogs, zusammen?
Shaboozey: Das Interessante ist, dass Trap-Musik ebenso wie Country aus den Südstaaten stammt. Beides sind südliche Klänge. Ein wichtiger Pionier des Trap ist der Produzent Lex Luger, der wie ich aus Virginia stammt. Er hat den Sound nach vorn gebracht und ist eine Legende in Virginia. Da erkennt man also kulturelle Muster.
WELT: Obwohl Country-Musik historisch in schwarzer Kultur wurzelt, wurde die Kunstform über das vergangene Jahrhundert weißgewaschen und als Genre eines weißen, oft konservativen Kernlands etabliert. Sehen Sie sich in der Verantwortung, den Menschen zu zeigen, dass Country die Beiträge schwarzer Künstler nicht nur zulässt, sondern im Gegenteil auf ihnen aufgebaut ist?
Shaboozey: Country ist in erster Linie die Musik des armen Mannes. Damit hat es angefangen: Diese Menschen wollten ihre Geschichten erzählen und hatten kein anderes Sprachrohr. Country-Musik war die Musik der Arbeiterklasse. Sie drehte sich um die Menschen, die nach Wegen suchten, sich auf echte, ehrliche Weise auszudrücken – unabhängig von der Hautfarbe. Die Geschichte des Country und seine Wurzeln in schwarzer Kultur müssen dennoch vermittelt und respektiert werden. Wir brauchen mehr Bildung über die Musikgeschichte hinter dem Genre. Gleichzeitig denke ich, dass Country-Musik für jeden da ist. Country ist auf einem guten Weg, aber ich würde mir mehr Offenheit wünschen. Meine Berufung ist es, mehr schwarze Amerikaner und mehr People of Color ins Genre zu bringen und ihnen Räume des Ausdrucks zu öffnen.
WELT: Beyoncés Album „Cowboy Carter“, auf dem Sie zweimal vertreten sind und das bei den Grammys als bestes Album des Jahres ausgezeichnet wurde, hat eine kontroverse Debatte ausgelöst: Manche sagen, das war lange nötig, um den rechtmäßigen Platz schwarzer Künstler in Country aufzuzeigen. Andere behaupten, sie habe bloß Kapital aus der Beliebtheit des Genres geschlagen, ohne eigentlich die Bedeutung schwarzer Kultur zu übermitteln. Was denken Sie?
Shaboozey: Als Teil des Projekts „Cowboy Carter“ habe ich dazu natürlich eine klare Meinung. Meine Lieblingssongs auf dem Album sind „Tyrant“ und „Alligator Tears“, und sie zeigen, dass wir uns schlicht so ausdrücken, wie es uns zumute ist, ohne erst über irgendwelche Formgrenzen nachzudenken. Während des Schaffensprozesses schere ich mich nicht um Genres. Aber gleichzeitig kommen wir aus Virginia, aus Texas, aus Georgia – und wir sind Teil derselben Geschichte, Teil der Country-Musik. Wir sind Country, weil wir aus dieser Welt kommen. Und Musik ist für alle da, um sie zu teilen und Inspiration zu finden.
WELT: Ihre Eltern sind Igbo, und Sie selbst haben zwei Jahre an einem nigerianischen Internat verbracht. Wie hat Sie dieser kulturelle Hintergrund und Ihre Zeit in Nigeria geprägt?
Shaboozey: Ich war ein extrem aufmerksames Kind. In so jungem Alter in Nigeria zu leben, hat mir viel Perspektive gegeben. Nigeria hat einen großen landwirtschaftlichen Sektor, genau wie die USA. Es ist in diesem Sinne auf ähnlichen Grundsteinen gebaut wie Amerika. Die meisten Leute dort sind einfach hart arbeitende Menschen, die sich einen ehrlichen Lebensunterhalt verdienen wollen. Nur dass das in der aktuellen wirtschaftlichen Lage dort oft nicht funktioniert. Und dennoch finden die Menschen dort Freude und Liebe in den kleinen Dingen. Mein Vater war ein großer Country-Fan, liebte Künstler wie Kenny Rogers, Don Williams und Dolly Parton und gab das an mich weiter. Ich denke, er mochte daran die Idee, dass ein hart arbeitender Mensch sich Wohlstand aufbauen kann. In dem Sinne sind sich die beiden Kulturen sehr ähnlich – durch Menschen der Arbeiterklasse, die überleben wollen.
WELT: Nigeria ist eine Hochburg erfolgreicher Afrobeats-Künstler. Hat nigerianische Musik Ihr eigenes Schaffen beeinflusst?
Shaboozey: Ganz sicher. Virginia ist ein Schmelztiegel der Kulturen. Hinzu kamen meine nigerianische Familie und mein früher Kontakt mit der Welt des Hip-Hops. Meine Familie hat mir nie theoretische Musikbildung vermittelt. Stattdessen stammt ein Großteil meiner musikalischen Bildung aus meinen eigenen multikulturellen Erfahrungen und meinem Wissensdurst. Ich bin wie ein Mutant in meinem eigenen Stil – weil so viele Einflüsse in mir zusammenfinden.
WELT: Country-Musik heute ist interessant durch die Spannungsfelder, die sie aufbaut – zwischen Tradition und Moderne, Konservatismus und Veränderung. Wie können Sie Ihre Identität als junger, schwarzer Amerikaner mit nigerianischen Wurzeln mit Perspektiven vereinen, die Country als reaktionär und intolerant sehen?
Shaboozey: Es gibt tatsächlich diese reaktionären Elemente im Country, obwohl ich behaupten würde, die gibt es in jedem Genre. Aber Country-Musik hat mein Leben verändert. Die Künstler, denen es wirklich um die Kunst geht, sind in erster Linie echte Geschichtenerzähler. Sie sprechen über komplexe Ideen, die jeder mitfühlen kann. Ich selbst höre keinen Redneck-Country. Dahinter stecken zum Teil gefährliche Ideologien. Aber ich denke, wie in jedem Genre sollten die Zuhörer über solch gefährliches Gedankengut hinaussehen und diese Stereotypen überwinden.
WELT: In Ihren Shows spielen Sie den Song „Let it Burn“, der Ihnen sehr wichtig ist. Welche Geschichte steckt dahinter?
Shaboozey: Dieser Song war der erste Schritt in Richtung der Musik, die ich heute schreibe. Mir war klar geworden, dass ich Musik machen wollte, die heilend ist. „Let it Burn“ war der erste Song, mit dem ich mir vornahm, anderen Menschen helfen zu wollen. Jedes Mal, wenn ich etwas durchmache, höre ich dieses Lied wieder. Wir alle wissen, wie schwer es ist, Dinge aus der Vergangenheit loszulassen, die dir auf dem Herzen liegen. Und dieser Song hilft dir dabei.
WELT: Ist neue Musik geplant für dieses Jahr?
Shaboozey: Ja, jede Menge. Früher habe ich nicht gerne Konzerte gespielt. Man setzt sich dem Urteil der Menschen auf der Bühne besonders aus. Über die letzten Jahre musste ich lernen, mit mir selbst glücklich zu sein: Du bist, wer du bist, und nichts und niemand kann dir das nehmen. Die Leute mögen dich oder eben nicht. Über diese Furcht musste ich erst hinwegkommen. Nun möchte ich das voll wahrnehmen, live spielen und schauen, was die Leute mögen und wer zuhört. Bald veröffentliche ich neue Songs, die zeigen, was ich seit dem letzten Album dazugelernt habe.
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