Es sind wieder einmal intensive Tage für Dimitrij und Alex Schaad. Gerade haben sie die Dreharbeiten für ihre erste gemeinsame Serie abgeschlossen: „Kacken an der Havel“. Am Set der in Berlin und Umland gedrehten Comedy-Produktion werden letzte Fotos geschossen, direkt danach das Gespräch mit dem Arte-Magazin über ihren mehrfach prämierten Kinofilm „Aus meiner Haut“, der im März ausgestrahlt wird – dann muss Dimitrij abends zum nächsten Job. „Ich spiele heute noch Theater“, sagt er gelassen. Sein jüngerer Bruder lacht: „Du bist ein krasser Typ.“
Dimitrij kontert: „Ach komm, selber!“ Man spürt eine ganz und gar ungekünstelte Zuneigung, tiefes Vertrauen – und stets Augenhöhe zwischen den beiden, trotz ihrer fünf Jahre Altersunterschied. Was ist das Geheimnis dieses derzeit vielleicht spannendsten Brüderpaars der deutschen Filmwelt? Mit „Aus meiner Haut“ ist ein außergewöhnlicher Film gelungen, der von einer mystischen Stimmung lebt. Und von einer irrwitzigen Idee: Die Protagonistinnen und Protagonisten übertragen in wechselnden Konstellationen ihr Ich in fremde Körper – durch ein geheimnisvolles Ritual.
Frage: Alex Schaad, wenn Sie könnten, würden Sie gerne einmal in den Körper Ihres älteren Bruders schlüpfen?
Alex Schaad: Rein biochemisch habe ich da relativ wenig Interesse, ich fühle mich ganz wohl in meinem Körper. Aber ich bin wahnsinnig in Dimi verliebt, wann immer ich ihn auf der Bühne sehe, wie er da vor 500 oder 800 Menschen steht und sie zwei Stunden lang begeistert. Und wie er den Saal manchmal dominiert, obwohl nicht alle perfekt fokussiert sind. Ich werde niemals erfahren, wie sich das anfühlt, würde aber vieles dafür eintauschen, dieses Erlebnis einmal zu haben.
Frage: Sie, Dimitrij, haben einmal gesagt: Wenn Sie längere Zeit nicht auf einer Theaterbühne stehen, fühlten Sie sich „wie ein Heroinjunkie auf Entzug“. Haben Ihre jüngsten Erfolge in Film- und Serienproduktionen etwas Abhilfe geschaffen?
Dimitrij Schaad: Nicht wirklich. Obwohl ich, seit ich das Berliner Maxim-Gorki-Theater verlassen habe, kein festes Theaterengagement habe, hatte ich allein in der zurückliegenden Spielzeit mehr als 60 Vorstellungen auf verschiedenen Bühnen. Das ist zum Glück genug, um nicht auf Entzug zu kommen.
Frage: Auch „Aus meiner Haut“ lebt vom sehr intensiven Spiel der Darstellenden. Dabei wurde der Film als Science-Fiction-Liebesfilm rezipiert, obwohl auf genretypische Effekte fast komplett verzichtet wurde. Wie ist das gelungen?
Dimitrij Schaad: Die Grundidee für den Film hatten wir schon 2017. Wir haben dann lange daran gefeilt und gängige Filme zum Thema „Körpertausch“ gesichtet, „Big“ zum Beispiel, von 1988. Oder „Freaky Friday“ von 2003, wobei da ja vor allem komödiantische Ansätze verfolgt wurden. Wir wollten das Genre aber psychologisch angehen. Wie das Zusammenspiel zwischen Geist und Körper funktioniert und was eine Veränderung für die Identität eines Menschen bedeuten würde.
Alex Schaad: Bei der Entstehung des Drehbuchs, das Dimi und ich zusammen entwickelt haben, gab es viele Fragen von Finanziers und Leuten aus der Redaktion. Sie interessierten absurderweise die technischen und organisatorischen Details eines Körpertausches – irgendwie sehr deutsch. Irgendwann steckten wir in einer Schlaufe an Technikerklärungen fest, die wir gar nie wollten. Wir hatten uns verirrt. Und es gab einen Handlungsstrang, der eher kapitalismuskritisch war. Aber kurz vor dem Dreh haben wir die Kurve gekriegt.
Frage: Inwiefern?
Alex Schaad: Im Dialog mit unserem Szenenbildner Bartholomäus Martin Kleppek ist uns mehr und mehr ein Befreiungsschlag gelungen. Ganz am Ende, mit der letzten Fassung des Drehbuchs, war klar: Wir wollen einen eher poetischen, märchenhaften Film und lieber so arbeiten, dass sich in den Köpfen der Zuschauer etwas entwickelt.
Dimitrij Schaad: Je konkreter du bei so einem Thema an bestimmten Stellen wirst, desto weniger ist es noch eine Allegorie, ein Sinnbild oder ein Gedankenspiel. Man muss da dann einfach sagen: Umarme die Magie im Magischen Realismus. That’s it – und was genau dahintersteckt, bleibt der Fantasie überlassen.
Frage: Der Körpertausch führt – mitunter zufällig – auch zu queeren Pärchen-Kombinationen, die mal besser, mal schlechter harmonieren. Bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig, wo „Aus meiner Haut“ 2022 Premiere feierte, gab es dafür den Preis „Queer Lion“. Wie wichtig war Ihnen dieser Aspekt des Films?
Alex Schaad: Mir war nicht von Anfang klar, dass Queerness eine Rolle spielen wird. Wie ging’s dir?
Dimitrij Schaad: Das hat sich tatsächlich erst im Laufe der Drehbuchproduktion ergeben. Wir wollten das Thema Identität radikal befragen und dann sind die heteronormativen Grenzen fast zwangsläufig gefallen.
Alex Schaad: Unser Gedankenspiel war: Wenn man jemanden liebt, ist es doch egal, welche Hülle dieser Mensch hat – das Innere ist, was zählt. Kann man eine Liebe zeigen, in der Geschlecht gar keine Rolle mehr spielt? Fairerweise muss man aber sagen: Dadurch, dass wir zwei heterosexuelle Männer sind, steht es uns, wie wir finden, nicht zu, das Thema Queerness allein in den Mittelpunkt zu stellen. Da ist unsere Perspektive dann doch zu beschränkt.
Frage: Konkret wird zwar nichts gezeigt oder benannt, aber der Film streift auch die Denkrichtung Transhumanismus, auf die Elon Musk so setzt. Künstliche Intelligenz spielt dabei eigentlich eine tragende Rolle. Wie sehr beschäftigt Sie KI gerade?
Dimitrij Schaad: Man muss schon feststellen: KI-Anwendungen wie ChatGPT oder, ganz neu, DeepSeek aus China sind schon jetzt, in diesem noch sehr frühen Stadium, erstaunlich leistungsfähig. Das überrascht mich alles sehr. Die technologischen Sprünge, die uns dadurch in den nächsten Jahren bevorstehen, können wir momentan nur erahnen – die ganze Entwicklung verläuft ja nicht linear, sondern exponentiell.
Frage: KI lässt Sie also nicht kalt?
Dimitrij Schaad: Es kann einen gar nicht nicht beschäftigen. Allein auf der Fahrt hierher habe ich in einem Podcast dreimal „KI“ gehört. Als es 2024 in Hollywood Proteste von Filmschaffenden gab, ging es auch um KI. Aber nicht so sehr darum, was jetzt schon möglich ist, sondern eher um Probleme, die es bald geben könnte. Das Drehen von Filmen und Serien ist ein sehr kostspieliges Unterfangen und die Gewinnmargen sind gering. Wenn in Zukunft also einzelne Bausteine, etwa Drehbuchautoren, dank KI kostengünstig ersetzt werden können, wird das vermutlich auch forciert werden. Da kann ich die Gefühle vieler Kreativschaffender natürlich sehr gut nachvollziehen.
Frage: Nutzen Sie ChatGPT oder andere KI-Programme als Autoren?
Alex Schaad: Für Recherchezwecke, ja. Beim Schreiben hat das bisher keinen Sinn gemacht. Für grafische Prozesse, muss ich sagen, sind manche Programme super hilfreich. Da überwiegt eindeutig die Bequemlichkeit die Angst. Zum Beispiel im Casting-Prozess: Da gibt man drei, vier Parameter ein und hat direkt ein Bild vor Augen, wie das Kind aussehen soll, das man für eine Rolle sucht.
Frage: Wie war Ihre Sozialisierung mit Technik in jungen Jahren – waren Sie Computer-Nerds?
Dimitrij Schaad: Überhaupt nicht, Computerspiele haben uns nicht so interessiert. Wir hatten dafür als Teenies schon Filmkameras – erst eine Super 8, dann eine MiniDV – und Schnittprogramme wie „Magix“. Damit haben wir angefangen, Filmchen zu schneiden, weil wir eben immer Filme geschaut haben.
Frage: Das macht Sinn. Was lief so im Videorekorder oder DVD-Player?
Alex Schaad: Das Kino der 1990er. Das war extrem spannend. Die Coen-Brüder, Quentin Tarantino mit „Pulp Fiction“, Martin Scorsese mit „Casino“. Heute alles Klassiker, damals waren es prägende Momente.
Frage: Ihre Verbundenheit wirkt ungebrochen – professionell wie privat. Sie telefonieren täglich, fahren sogar regelmäßig gemeinsam in den Urlaub. Wohin geht es dieses Jahr?
Alex Schaad: Wir kommen gerade relativ frisch aus der Schweiz. Wohin wollten wir als Nächstes?
Dimitrij Schaad: Schottland hatten wir überlegt. Wenn „Kacken“ komplett durch ist, könnten wir den West Highland Way zusammen abwandern. Tagsüber wandern, abends betrinken.
Frage: Bei aller Harmonie, aber Hand aufs Herz: Wann haben Sie das letzte Mal gestritten?
Dimitrij Schaad: (lacht) Heute!
Alex Schaad: Nein, im Ernst: Natürlich streiten wir uns auch mal. Wenn du so viel Kontakt hast wie wir und so viel Druck zusammen aushalten musst, wie bei Filmdrehs üblich, ist es wie in jeder gesunden Beziehung: Du musst negative Energien bei Frust auch rauslassen. Aber wir hatten wirklich schon sehr lange nicht mehr den Fall, dass wir nach einem Streit nicht zwei Minuten später wieder Quatsch geredet hätten.
Dimitrij Schaad: Es gibt eine Vereinbarung: Wir widersprechen einander nicht in der Öffentlichkeit, auch nicht vor Kolleginnen und Kollegen. Wenn wir gemeinsam drehen, ist klar: Am Set ist Alex als Regisseur der Boss. Ich kann als Schauspieler oder Autor offen Wünsche anbringen, alles andere klären wir untereinander. Gut, bei gewissen Gesichtsausdrücken ist schon klar: Jetzt ist einer angepisst, das könnte Ärger geben.
Zu den Personen:
Dimitrij Schaad, Schauspieler und Autor; Alex Schaad, Regisseur und Autor
Im heutigen Kasachstan geboren, kamen die Brüder Anfang der 1990er nach Süddeutschland. Dimitrij Schaad (39, l.) gelang mit der Kinokomödie „Die Känguru-Chroniken“ (2020) und der Serie „Kleo“ (2022) der Sprung vom Theater zum Film; nun arbeitet er regelmäßig eng mit seinem Bruder Alex (34) zusammen – auch als Drehbuchautor.
Wir entnehmen dieses Interview dem Arte-Magazin 03/25. Sendehinweis: Am 12.03. um 23:10 Uhr läuft der Film „Aus meiner Haut“ im Arte-Programm.
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