Das Rad, das sie grade in Stuttgart und München drehen, könnte kaum größer sein. Denn wenn sie bei Mercedes-Benz vom CLA sprechen, dann ist regelmäßig vom wichtigsten Modell dieser Jahre die Rede und von der bedeutendsten Produktoffensive der Dekade – und BMW-Entwicklungschef Frank Weber stempelt die Neue Klasse gar zum vielleicht wichtigsten Modell der Firmengeschichte.
Natürlich ist das wie immer ein bisschen übertrieben. Aber selbst, wenn das Marketing gerade mächtig Dampf abbläst, sind die beiden Neuheiten aus Schwaben und Bayern deutlich mehr als einfach nur neue Autos. Sie stehen für neue Fahrzeuggenerationen, für neue Ansätze in Entwicklung und Konstruktion und für ein wiederentdecktes Selbstbewusstsein, dass die gebeutelte deutsche Automobilindustrie ein wenig aufrichten könnte.
Große Erwartungen
Die Erwartungen an die beiden Autos könnten größer kaum sein, sagt deshalb auch der deutsche E-Fluencer Stefan Moeller von "Nextmove" und hofft auf mehr als einfach nur den üblichen Fortschritt beim Generationswechsel. "Bei Reichweite, Effizienz und Ladeperformance steht uns da endlich mal wieder ein Sprung ins Haus."
Möglich machen das hier wie dort 800 Volt-Architekturen, maximale Windschlüpfrigkeit und effizientere Antriebe denn je. BMW verspricht deshalb 30 Prozent mehr Reichweite, 30 Prozent schnelleres Laden und 25 Prozent mehr Effizienz, und Mercedes spricht stolz vom "Ein-Liter-Auto" für die Generation E. Denn im besten Fall kommt der CLA auf einen Verbrauch von 12,2 kWh und schafft mit seiner 85,5 kWh großen Batterie eine Normreichweite von 792 Kilometern. Und auch wenn BMW noch keine konkreten Zahlen nennt, ist in München von einem Verbrauch "um die 12 kWh" die Rede.
Mercedes-Benz CLA (2026)

Wie weit Mercedes und BMW dann am Ende wirklich springen, wird man bald sehen, wenn beide Modelle mal auf der Straße sind. Doch den ersten Etappensieg erringt Mercedes und kommt BMW zumindest mit der Premiere ein halbes Jahr zuvor. Denn während die Bayern den Spannungsbogen noch bis zur IAA im September halten müssen, hat Mercedes jetzt die Katze aus dem Sack gelassen und in Rom seinen neuen Hoffnungsträger enthüllt. Und wo die BMW-Kunden von Glück sagen können, wenn sie zum Jahreswechsel im Auto sitzen dürfen, will Mercedes-Chef Ola Källenius den CLA schon für die großen Ferien bereitstellen. Weit genug für eine Urlaubsreise fährt er ja.
"Das Auto wird über die Jahre nur besser"
Technisch machen beide einen großen Sprung – nicht nur mit dem Elektroantrieb, sondern auch bei der Elektronik. Denn in beiden Autos läuft auch das jeweils erste eigene Betriebssystem, bei dem Dutzende, oft Hunderte Controller eines Fahrzeugs in wenigen Zentralrechnern zusammengefasst werden. Das gibt dem Hersteller größere Hoheit gegenüber den Zulieferern sowie eine bessere Chance zur Vernetzung und bedeutet für die Kunden mehr Upgrades und Update oder kurz: "Das Auto wird nicht mehr älter, sondern wie ein guter Wein über die Jahre nur besser", sagt Källenius.
Aber bei BMW wollen sie es dabei nicht belassen: Ja, auch der CLA macht einen weiteren Schritt bei der Digitalisierung und bekommt jetzt einen Bildschirm, der sich (fast) durchs ganze Cockpit spannt. Doch BMW denkt die Bedienung 20 Jahre nach der Erfindung des iDrive mal wieder komplett neu und baut dafür das "Panoramic Vision Display" ein – eine Projektionsfläche, die sich über den gesamten unteren Rand der Windschutzscheibe spannt. Weil es dazu auch eine neue, eher zurückhaltende Inszenierung von wenigen Schaltern gibt, hat das BMW-Cockpit einen wirklich frischen Look und lässt den nagelneuen CLA schon wieder eher alt aussehen.
BMW Vision Neue Klasse X

Zwar wirkt das Aufeinandertreffen von CLA und Neuer Klasse wie das Duell zweier Einzelkämpfer, doch ausgetragen wird der Titelkampf als Mannschaftsspiel, in dem sich hier wie dort mehrere Modelle bewähren müssen. Bei BMW geht es mit einem SUV los, das den bisherigen iX3 ersetzt, danach kommt eine Limousine im Format des Dreier und bald sollen allen neuen Modelle aus München aus der Neuen Klasse profitieren. Und bei Mercedes wird es nach dem CLA als ersten elektrischen Kombi noch ein Shooting Break geben, dann zwei SUV als Nachfolger für GLA, GLB – und dann skalieren sie den MMA-Baukasten als MB.EA für die größeren Modelle, die ihren Einstand mit dem elektrischen GLC geben.
Deutsche Autoindustrie meldet sich zurück
Mercedes oder BMW; MMA oder Neue Klasse – egal wer am Ende besser dasteht, sendet der Klassenkampf im deutschen Süden auch ein wichtiges Signal an den Rest der Welt. Lange abgeschrieben, meldet sich die deutsche Autoindustrie damit wieder zurück und nimmt mit neuem Mut und besseren Karten denn je wieder den Wettkampf gegen Tesla und die Chinesen auf.
Wobei Experten wie Arthur Kipferler vom Strategieberater Berylls by AlixPartners in München kein ganz so schwarz-weißes Bild zeichnen will: "Natürlich gab es viele Schlagzeilen über die technologische Überlegenheit der Chinesen im Vergleich zu den Deutschen", räumt er ein. Und zumindest in China sehen auch die Verkaufszahlen entsprechend aus: Deutsche schrumpfen, Chinesen wachsen.
BMW Vision Neue Klasse

Aber Kipferler bucht das nicht nur auf das Konto der vermeintlich überlegenen Technologie: "Ich glaube, dass China stattdessen einen Segment-Shift erlebt, der das umkehrt, was wir in Europa in den letzten Jahrzehnten gesehen haben." Bei uns hätten die drei Premium Marken einen immer größeren Teil des Markts übernommen, mit neuen Modellen, die zwar teurer waren, aber keine echten Produktvorteile gegenüber den Volumenmodellen geboten haben. "Denn ein Audi 80 war nicht wirklich besser als ein Opel Vectra, eine Mercedes A-Klasse dem VW Golf nicht richtig voraus", sagt Kipferler. Aber Leasing und Finanzierungen hätten es den Verbrauchern ermöglicht, mehr für ihr Auto auszugeben. "Die Volumenmarken mussten deshalb manche Segmente komplett aufgeben – und sind heute ja nur noch ein Schatten ihrer früheren Präsenz." In China agieren die lokalen Volumenmarken ähnlich: Sie stehlen den bisherigen Platzhirschen Marktanteile, indem sie den Kunden das bieten, was sie – wie digitale Technologien, vordergründige Performance und Design – besonders schätzen, zum günstigeren Preis.
Ob CLA oder Neue Klasse diesen Trend umkehren können? Dafür springen sie dann vielleicht nicht weit genug oder sind am Ende wahrscheinlich einfach zu teuer. Denn natürlich werden sich BMW und Mercedes ihre Innovationen auch bezahlen lassen und sich nicht auf einen ruinösen Preiskampf einlassen wollen oder können. Doch zumindest in Europa und den USA könnte die Rechnung aufgehen, sagt Kipferler: "Dort sind die Eintrittsbarrieren viel höher, und dazu gehören ganz sicher nicht nur die Einfuhrzölle."
Der Berylls-Experte sieht in den beiden zu Hoffnungsträgern und Leuchtturm-Modellen hoch stilisierten Neuheiten deshalb zwar wichtige "Fortschritte" für Mercedes und BMW in den westlichen Kernmärkten und hält den nächsten Innovationssprung im Lebenszyklus für allerhöchste Eisenbahn. "Aber allein werden sie China-Probleme der deutschen Hersteller auch nicht lösen."
Und auch in Deutschland braucht es mehr als den neuen Glanz aus dem Süden: Zwar zollt E-Experte Moeller den süddeutschen Premiumanbietern ehrlichen Respekt für den großen Entwicklungssprung und billigt BMW und Mercedes zu, etwas vom Rückstand gegenüber den Chinesen wett gemacht zu haben. Doch "die große Rettung" für die deutsche Autoindustrie oder gar die Elektromobilität in Deutschland sei das nicht. "Dafür braucht es vor allem bezahlbare Elektroautos", sagt Moeller. Das sei natürlich nicht das Kerngeschäft der süddeutschen Premiummarken, doch auch hier tue sich ja langsam was: "Zwar ist VW damit ein paar Jahre zu spät, doch mit Autos wie dem ID.2 und dem ID.1 sind sie zumindest auf dem richtigen Weg und es sieht nicht mehr ganz so dunkel aus für die Automobilnation Deutschland."
VW ID. Every1 (2025)

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